Wenn wir uns wiedersehen: Thriller (German Edition)
sie zweifelnd an. »Schon.«
»Dann schwöre mir, daß du nie mehr über Molly redest.«
Er schwieg eine Weile. »Ich schwöre, Mom«, sagte er schließlich leise.
66
O bwohl Molly all ihre Überredungskünste aufbot, weigerte sich Dr. Daniels, den Termin ein zweites Mal zu verschieben. Er sagte, er werde um sechs Uhr bei ihr sein, und er stand pünktlich vor Mollys Tür.
»Ganz schön mutig von Ihnen, mit mir allein zu sein«, murmelte sie. »An Ihrer Stelle wäre ich vorsichtig. Kehren Sie mir ja nicht den Rücken zu. Ich könnte gefährlich sein.«
Der Arzt, der gerade dabei gewesen war, den Mantel auszuziehen, hielt mitten in der Bewegung inne und musterte sie prüfend. »Was soll das heißen, Molly?«
»Kommen Sie rein. Ich erzähle Ihnen alles.« Sie führte ihn ins Arbeitszimmer. »Sehen Sie«, sagte sie und wies auf
die Zeitschriftenstapel und Fotos auf dem Boden. »Ich sitze nicht nur herum und grüble.«
»Offenbar sind sie beim Aufräumen«, stellte Dr. Daniels fest.
»So könnte man es auch nennen, Herr Doktor, aber es ist mehr als das. Man bezeichnet es auch als ›Neuanfang‹, ›Trauerarbeit‹ oder ›Vergangenheitsbewältigung‹ – sie können es sich aussuchen.«
Daniels ging zum Sofa. »Darf ich?« fragte er und zeigte auf die Fotos.
»Schauen Sie sie sich ruhig an, Herr Doktor. Den linken Stapel schicke ich an Garys Mutter, der rechte kommt in den Papierkorb.«
»Wollen Sie sie wirklich wegwerfen?«
»Ich halte das für eine gesunde Reaktion, Herr Doktor. Sie nicht?«
Er blätterte die Fotos durch. »Auf vielen sind die Whitehalls zu sehen.«
»Jenna ist meine beste Freundin. Wie Sie sicher wissen, haben Cal, Gary und Peter Black gemeinsam den Remington-Gesundheitsdienst betrieben. Es sind auch einige Bilder von Peter und seinen Ex-Gattinnen dabei.«
»Sie haben Jenna wohl sehr gern, Molly. Was ist mit Cal? Sind Sie auch mit ihm befreundet?«
Als er aufblickte, bemerkte er, daß ein Lächeln um ihre Lippen spielte.
»Cal ist kein sehr liebenswerter Mensch«, erwiderte sie. »Ich bezweifle, daß ihn überhaupt jemand mag, nicht mal Lou Knox, sein Chauffeur und Mädchen für alles. Niemand findet Cal sympathisch, man ist eher fasziniert von ihm. Er kann sehr nett und amüsant sein, und er ist hochintelligent. Ich weiß noch, wie wir einmal bei einem Dinner waren, das ihm zu Ehren veranstaltet wurde. Über sechshundert wichtige Leute waren da. ›Neunundneunzig Prozent von ihnen sind nur aus Angst hier‹, hat Jenna mir zugeflüstert.«
»War das Ihrer Meinung nach ein Problem für Jenna?«
»Du meine Güte, nein. Jenna liebt Cals Macht. Allerdings ist sie selbst eine starke Persönlichkeit und läßt sich von niemandem aufhalten. Deshalb hat sie es auch geschafft, Teilhaberin einer bedeutenden Anwaltskanzlei zu werden. Das hat sie ganz allein geschafft.« Molly hielt inne. »Ich hingegen bin ein Weichei. Das war ich schon immer. Jenna war sehr lieb zu mir. Doch Cal würde es bevorzugen, wenn ich vom Erdboden verschwinden würde.«
Da hast du recht, dachte John Daniels. »Wollte Jenna Sie heute besuchen?«
»Nein. Sie ist in New York zu einem Dinner eingeladen. Aber sie hat angerufen. Ich habe mich sehr darüber gefreut. Nach Mrs. Barrys Kündigung hatte ich ein bißchen Aufmunterung dringend nötig.«
Dr. Daniels wartete ab. Er bemerkte, daß Mollys Miene sich veränderte. Sie wirkte bedrückt und irgendwie ein bißchen ungläubig. Mit ruhiger, fast monotoner Stimme berichtete sie ihm von Edna Barrys Abschied.
»Ich habe heute nachmittag mit meiner Mutter telefoniert und sie gefragt, ob sie und Vater auch Angst vor mir hätten«, erzählte sie weiter. »Ich wollte wissen, warum sie mich nicht besuchten, obwohl ich sie brauchte. Letzte Woche wollte ich niemanden um mich haben. Als ich nach Hause kam, fühlte ich mich wie jemand mit schweren Verbrennungen: ›Faßt mich bloß nicht an! Laßt mich in Ruhe!‹ Doch nachdem Annamaries Leiche gefunden wurde, hatte ich große Sehnsucht nach meinen Eltern.«
»Und was hat Ihre Mutter geantwortet?«
»Daß sie nicht kommen können. Dad hatte einen leichten Schlaganfall, ist aber wieder auf dem Wege der Besserung. Deshalb sind sie nicht hier. Sie haben Jenna angerufen und sie gebeten, sich um mich zu kümmern, und das hat sie natürlich auch getan. Sie haben es selbst gesehen.«
Molly blickte an Dr. Daniels vorbei. »Es war wichtig für mich, mit ihnen zu sprechen und zu wissen, daß sie weiter
zu mir halten. Die Angelegenheit
Weitere Kostenlose Bücher