Wenn wir uns wiedersehen: Thriller (German Edition)
Spaziergang rund um den neuen Kliniktrakt fort. Er erinnerte sich an seine erste Zeit hier. Wie sehr hatte er Gary um seine ungezwungene Art anderen gegenüber beneidet. Er konnte je nach Bedarf seinen Charme versprühen oder eine besorgte Miene aufsetzen – den betroffenen Blick beherrschte er perfekt.
Auch Garys Hochzeit mit Molly war ein schlauer Schachzug gewesen, überlegte Black. Molly war eine höhere Tochter und eine repräsentative Ehegattin wie aus dem Bilderbuch, die über gutes Aussehen, Geld und die richtigen Beziehungen verfügte. Auch wichtige Persönlichkeiten fühlten sich geschmeichelt, wenn sie zu einer ihrer Dinnerpartys eingeladen wurden.
Alles hatte wie am Schnürchen geklappt, bis Gary so dumm gewesen war, sich mit Annamarie Scalli einzulassen. Von all den attraktiven, jungen Frauen auf der Welt mußte er sich ausgerechnet eine Krankenschwester aussuchen, die nicht auf den Kopf gefallen war.
Doch ihre Klugheit war ihr zum Verhängnis geworden. Peter Black hatte den Eingang des eindrucksvollen Backsteingebäudes erreicht, in dem der Remington-Gesundheitsdienst untergebracht war. Kurz überlegte er, ob er noch ein wenig spazierengehen sollte, trat dann aber ein. Ihm stand ein langer Arbeitstag bevor, und es war zwecklos, die anstehenden Aufgaben noch weiter hinauszuschieben.
Um zehn Uhr rief Jenna an. Sie war völlig außer sich. »Peter, hast du schon die Nachrichten gehört? Eine Frau wurde letzte Nacht auf dem Parkplatz eines Restaurants in Rowayton ermordet. Es ist Annamarie Scalli, und nun will die Polizei Molly verhören. Im Radio haben sie mehr oder weniger durchblicken lassen, daß Sie sie verdächtigen.«
»Annamarie Scalli ist tot, und Molly wird verdächtigt?« Peter überhäufte Jenna mit Fragen.
»Offenbar hat sich Molly in diesem Restaurant mit Annamarie getroffen«, erklärte Jenna. »Sicher erinnerst du dich, daß sie am Samstag sagte, sie würde sie gerne sehen. Die Kellnerin erklärte, Annamarie sei zuerst gegangen, doch Molly sei ihr eine knappe Minute später gefolgt. Als das Restaurant kurz darauf schloß, fiel jemandem das Auto auf. Sie haben nachgesehen, weil es in letzter Zeit dort Probleme mit Jugendlichen gab, die auf dem Parkplatz Alkohol tranken. Doch sie fanden Annamaries Leiche. Sie ist erstochen worden.«
Nachdem Peter Black aufgelegt hatte, lehnte er sich nachdenklich zurück. Kurz darauf huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Wie von einer Zentnerlast befreit seufzte er auf. Dann nahm er einen Flachmann aus der Schreibtischschublade, füllte einen kleinen Becher und prostete sich selbst zu. »Danke, Molly«, sagte er und trank genüßlich.
38
A ls Edna Barry am Montag nachmittag von Molly nach Hause kam, hatte sie kaum Gelegenheit, aus dem Auto auszusteigen, denn Marta, ihre Nachbarin und gute Freundin, lief ihr bereits entgegen.
»Es ist schon in den Nachrichten«, keuchte Marta. »Es heißt, Molly Lasch werde von der Polizei vernommen. Sie soll die Krankenschwester umgebracht haben.«
»Komm rein und trink ein Täßchen Tee mit mir«, schlug Edna vor. »Du wirst nicht glauben, was heute alles passiert ist.«
Bei Tee und selbstgebackenem Kuchen erzählte Edna am Küchentisch, wie sie Molly zu ihrem Entsetzen voll bekleidet auf dem Bett gefunden hatte. »Ich dachte, mir bleibt das Herz stehen. Sie schlief tief und fest, genau wie beim letztenmal. Und als sie die Augen aufschlug, war sie ganz durcheinander, und dann hat sie gelächelt. Ich kann dir gar nicht sagen, wie ich erschrocken bin. Es war wirklich so wie vor sechs Jahren. Fast habe ich erwartet, daß sie voller Blut ist.«
Sie erklärte, sie sei sofort nach unten gerannt, um Fran Simmons und Mollys Anwalt zu rufen. Gemeinsam hatten sie Molly aus dem Bett geholt, sie im Zimmer auf und ab gehen lassen und ihr einige Tassen Kaffee eingeflößt.
»Nach einer Weile hat Molly wieder ein bißchen Farbe gekriegt, doch sie hatte immer noch so einen seltsamen, leeren Blick. Und dann flüsterte sie:« – Edna Barry beugte sich mit verschwörerischer Miene vor – »›Philip, ich habe Annamarie Scalli nicht getötet, oder?‹«
»Das gibt’s doch nicht!« stöhnte Marta fassungslos. Ihre Augen hinter der dicken Brille waren weit aufgerissen.
»Als sie das sagte, hat Fran Simmons mich am Arm gepackt und mich so schnell die Treppe runtergeschoben, daß ich fast gestürzt wäre. Offenbar wollte sie nicht, daß
ich etwas mithöre, was ich später bei der Polizei aussagen könnte.«
Edna Barry
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