Wenn wir uns wiedersehen: Thriller (German Edition)
würden sie selbst kommen, um ihr beizustehen.«
Calvin Whitehalls Miene hellte sich auf, als er sich erhob und seine Frau umarmte. »Offenbar war es ein Mißverständnis, Jen«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Ich wollte nicht, daß du Molly ausgerechnet jetzt besuchst, denn ich habe vor einer Stunde einen Tip bekommen. Die Staatsanwaltschaft plant, Mollys Haus zu durchsuchen und ihr Auto beschlagnahmen zu lassen. Sicher begreifst du, daß es ihr nichts nützen und dem Remington-Gesundheitsdienst schaden würde, wenn eine bekannte Persönlichkeit wie Mrs. Calvin Whitehall sich während dieser Hausdurchsuchung mit Molly sehen ließe. Natürlich kannst du danach sofort zu ihr. In Ordnung?«
»Eine Hausdurchsuchung, Cal? Aber warum denn?« Jenna befreite sich aus der Umarmung ihres Mannes und starrte ihn an.
»Aus dem einfachen Grund, daß die Beweislast gegen Molly, was den Tod dieser Krankenschwester betrifft, erdrückend ist. Mein Informant erzählt, daß immer neue Tatsachen ans Licht kommen. Offenbar hat die Kellnerin aus Rowayton bei der Staatsanwaltschaft ausgesagt und Molly schwer belastet. Und mein Informant weiß noch mehr. Beispielsweise, daß Annamarie Scallis Handtasche gut sichtbar neben ihr auf dem Beifahrersitz stand und einige hundert Dollar enthielt. Also kann Raub nicht das Motiv gewesen sein.« Er zog seine Frau wieder an sich. »Jen, deine Freundin ist immer noch das Mädchen, mit dem du zur Schule gegangen bist, und die Schwester, die du nie hattest. Hab’ sie gern. Aber versteh, daß sie Probleme hat, die sie zur Mörderin gemacht haben.«
Das Telefon läutete. »Wahrscheinlich der Anruf, den ich erwartet habe«, meinte Cal, ließ Jenna los und tätschelte ihr noch einmal die Schulter.
Wenn Cal erklärte, daß er einen Anruf erwartete, war das für Jenna das Stichwort, ihn allein zu lassen. Also ging sie hinaus und schloß die Tür hinter sich.
42
E s geschieht nicht wirklich, sagte sich Molly. Es ist nur ein böser Traum. Nur, ein böser Traum, nein ein böser Alptraum …
Seit dem Vormittag gelang es ihr nicht, ihre Gedanken zu ordnen, weshalb sie es als Ablenkung empfand, sich mit stilistischen Fragen zu beschäftigen. Beim Überlegen saß sie auf dem Sofa im Arbeitszimmer, umklammerte die hochgezogenen Knie mit den Händen und stützte das Kinn darauf.
Eine Haltung, die Hilflosigkeit ausdrückt, schoß es ihr durch den Kopf. Ich muß mich in meinem eigenen Haus verkriechen, während fremde Menschen hier alles durcheinanderwühlen. Schon als Teenager hatten Jen und sie immer gewitzelt, daß es das beste sei, in Deckung zu gehen, wenn die Ereignisse sich überstürzten.
Doch das war lange her, in einer Zeit, in der ein abgebrochener Fingernagel oder ein verlorenes Tennisspiel ein Drama gewesen war. Auf einmal gewannen die Worte ›sich überstürzende Ereignisse‹ eine völlig neue Bedeutung.
Man hat mich angewiesen, hier zu warten, dachte sie. Und dabei glaubte ich, ich müßte nach der Entlassung aus dem Gefängnis nie mehr Befehle entgegennehmen und Vorschriften beachten. Vor einer Woche saß ich noch hinter
Schloß und Riegel. Aber jetzt bin ich zu Hause. Und dennoch kann ich diese schrecklichen Leute nicht einfach wegschicken.
Bestimmt wache ich gleich auf, und alles ist vorbei, sagte sie sich und schloß die Augen. Doch das half natürlich nicht.
Also öffnete sie sie wieder und sah sich um. Die Polizei hatte dieses Zimmer bereits durchsucht, alle Sofakissen angehoben, die Schubladen der Beistelltische aufgezogen und die Vorhänge nach versteckten Gegenständen abgetastet.
Ihr fiel auf, daß sie eine Menge Zeit in der Küche verbrachten. Offenbar durchkämmten sie sämtliche Schubladen und Schränke. Sie hatte gehört, wie einer zum anderen sagte, er solle alle Küchenmesser mitnehmen.
Außerdem hatten sie vor, die Kleider und Schuhe zu beschlagnahmen, die sie laut Auskunft der Kellnerin getragen hatte.
Ihr blieb nichts anderes übrig als zu warten, bis die Polizei endlich wieder ging.
Aber ich kann doch nicht tatenlos herumsitzen, überlegte Molly. Ich muß weg hier. Doch wo gibt es einen Ort, an dem die Leute nicht mit den Fingern auf mich zeigen und die Reporter mich in Ruhe lassen?
Dr. Daniels. Ich muß mit Dr. Daniels sprechen, beschloß Molly. Er wird mir helfen.
Es war fünf Uhr. War er noch in seiner Praxis? fragte sie sich. Seltsam, daß ich seine Nummer nach sechs Jahren noch auswendig weiß.
Als das Telefon läutete, schloß Ruthie Roitenberg gerade
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