Wenn Zaertlichkeit dein Herz beruehrt
und sich in seine Privaträume zurückzog. Pünktlich auf die Minute, dachte Victoria, als sie auf die große Uhr blickte, die neben der Tür zu seinem Büro stand.
Sie verabschiedete sich von Vel und trat nach draußen auf die Straße. Zwei Männer kamen ihr eilig entgegen, stießen sie vom Gehsteig. Victoria ließ sie weiterlaufen, nicht in der Stimmung, einen Streit anzufangen. Sie sehnte sich nur noch nach ihrem Bett, meinte fast schon die frischen kühlen Laken an ihrem müden Körper zu spüren. Unwillkürlich beschleunigte sie ihre Schritte, doch sie blieb abrupt stehen, als sie ein schmerzerfülltes Stöhnen hörte. Sie wartete, bis sie es erneut hörte, dann wandte sie sich in die Richtung, aus der es kam, und betrat die schmale Gasse, die seitlich am Mietstall vorbeiführte. Angestrengt versuchte sie, in der Dunkelheit etwas zu erkennen, und entdeckte schließlich die Umrisse einer Gestalt, die zusammengesunken an der Wand lehnte. Und sah den Lauf einer Waffe au f blitzen.
Anfangs glaubte sie, der Revolver sei auf sie gerichtet, doch als die Wolken für einen Moment aufrissen und der Schein des Mondes die Nacht erhellte, erkannte sie, wie er den Lauf gegen seine Schläfe richtete, hörte gleichzeitig, wie die Waffe gespannt wurde.
»Nein!«, schrie sie und machte einen Satz vorwärts.
Hewlett-Packard
10
Chris war müde und ziemlich sauer auf sich selbst. Er hatte die halbe Nacht damit verbracht, sich selbst zu beschimpfen. Wieso hatte er sich hinreißen lassen und zugesagt, sie zu Seans Ranch zu bringen? Dieser Fall ging sie gar nichts an, auch wenn sie ein paar ganz vernünftige Überlegungen dazu angestellt hatte. Er unterdrückte ein Gähnen und rollte die verspannten Schultern, während er beobachtete, wie sie die Stelle inspizierte, wo Kelly gestorben war. Was wollte sie hier schon finden außer zersplittertem Holz und festgestampftem Boden?
Jetzt kniete sie sich auch noch auf ein Bein und stocherte mit einem Federhalter im Boden, den sie vorhin beim Verlassen seines Büros noch schnell von seinem Schreibtisch genommen hatte. Die Weide, nur ein paar Meter entfernt, war leer, denn das Gatter und die Einzäunung waren wie Streichhölzer unter dem Ansturm des aufgeregten Viehs zerbrochen.
Vorsichtig richtete sie sich wieder auf. Etwas baumelte von der Spitze des Federhalters.
Chris runzelte die Stirn.
»Ein Fetzen von ihrem Nachthemd, schätze ich.«
Sie ließ das kleine Stück Stoff in eine Tüte fallen, und Chris wunderte sich, warum sie ein solches Aufhebens um diesen blutigen Fetzen machte. Sie schaute auf ihre Uhr, dann ging sie in einem weiten Bogen zur Scheune und trat gegen das zersplitterte Tor. Sie hob ein Brett auf, betrachtete eins der Enden genauer und benutzte den Federhalter, um in dem Holz zu stochern, bevor sie das Brett gegen die Wand lehnte.
»Seit es passiert ist, war niemand mehr darin?«
Chris schüttelte den Kopf. Was wollte sie entdecken, was er nicht schon gefunden hätte? »Anfangs konnten wir Sean nicht einmal dazu bewegen, sie uns zu geben, damit wir sie beerdigen konnten. Er hatte sie ins Haus getragen und sich mit ihr eingeschlossen. Als er uns schließlich hereinließ, hatte er versucht, sie so gut wie möglich wieder herzurichten.« Chris starrte auf seine Stiefelspitzen, es fiel ihm schwer, den schrecklichen Anblick zu vergessen. »Seine Leute sind seitdem draußen auf den Weiden und kümmern sich um die Tiere.«
»Wann genau ist es passiert?«
Er sah sie an. »Zwei Tage, bevor ich Vic Mason eingesperrt habe.«
Kein Wunder, dass er mir gegenüber so misstrauisch war, dachte sie und betrachtete noch einmal den festgetrampelten Boden.
Ein Schuss zerriss die Morgenstille, und automatisch duckte Victoria sich hinter die offene Scheunentür. Chris jedoch hatte sich nicht gerührt, doch nun ging er auf das Haus zu. Sean Galloway stand auf der Veranda und hielt ein Gewehr in der Hand.
»Verschwinde von meinem Land, Marshal !«
Chris hob die Hände. »Reg dich nicht auf, Sean. Wir, oder besser Jake dort«, er deutete mit dem Kopf auf Victoria, »glaubt zu wissen, was mit Kelly passiert ist.«
Victoria hörte sehr wohl den Zweifel aus seinen Worten heraus, aber das machte sie nur noch entschlossener. Langsam trat sie auf die Männer zu. Sean betrachtete sie mit schmalen Augen, und es schmerzte sie, so viel Kummer in seinen Augen zu sehen. Aber sie konnte auch Entschlossenheit erkennen und betete, dass sie Recht haben möge. Sie wollte diesem Mann nicht noch
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