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Wer aaahh sagt...

Wer aaahh sagt...

Titel: Wer aaahh sagt... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Gordon
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Ankunft einer Gruppe von Stammgästen unterbrochen, die das Übliche bestellten.
     

14
     
     
    Am nächsten Morgen, es war ein wunderschöner Tag, fuhr ich von der Foxglove Lane zum Chaucer Way und dachte darüber nach, warum die Menschen und das, was sie taten, seit 1662 so furchtbar kompliziert geworden waren.
    Das Gebetbuch war damals in einfache Kategorien unterteilt: die Lebenden und die Toten. Diese Kategorien wurden dann unangenehmerweise auf die Ungeborenen und die Sterbenden erweitert, die im vergangenen Monat meine moralischen Muskel strapaziert hatten. Die Behinderten, die Kriegsversehrten, die Mittellosen, die Alterskranken, die Organempfänger, die im Koma Liegenden waren ebenfalls Gruppen, die Mitgefühl und moralische Verantwortung verlangten. Als ich in die Praxis kam, stieß ich auf eine weitere Kategorie: die Überlebenden.
    »Es geht um Mrs. Rosie Styles aus den Inkerman Villas«, begrüßte mich Mrs. Jenkins. »Die Gemeindeschwester möchte, daß Sie vorbeikommen. Die alte Dame ist auch nicht mehr die Jüngste.«
    Nachdem ich meine Morgenpatienten abgefertigt hatte, fuhr ich hinüber in die sanft gewundene Straße mit den terrassenförmig angelegten viktorianischen Häusern jenseits der Bahnlinie.
    Mrs. Rosie Styles war eine weißhaarige, runzelige und verhutzelte alte Dame mit knotigen Gichthänden. Sie trug ein schäbiges bedrucktes Kleid und saß in ihrem roten Plüschsessel, die Hände um einen dicken Stock geklammert, umgeben von schweren, auf Hochglanz polierten Möbeln, einem Kaminsims, auf dem eine rote Fransendecke lag, gerahmten Mustertüchern und einer Aspidistra.
    Ich untersuchte ihre Finger und sagte - ganz der fröhliche Doktor: »Na, Sie müssen ja auf die Neunzig zugehen?«
    Sie starrte mich empört an.
    »Samstag in einer Woche«, kreischte sie, »werde ich hundert!«
    »Das sieht man Ihnen nicht an«, fügte ich schnell hinzu. »Wirklich nicht. Sie werden ein Telegramm von der Königin bekommen, das ist doch was Schönes. Sie denkt bestimmt schon dran.«
    »Das macht der Löwenzahn«, brüllte sie. Wie viele Träger von Hörgeräten des Gesundheitsdienstes hatte sie das Gefühl, daß alle anderen taub waren.
    Ich sagte: »Tatsächlich?«
    Sie nickte heftig. »Löwenzahn.«
    Eine Allergie?
    Ich sah mich in dem ordentlichen Zimmer um. Ich fand nur ein Bündel getrocknetes Heidekraut und eine Vase mit Pampagras.
    Sie erklärte: »Löwenzahn garantiert ein langes Leben. Das hat mir mein Vater gesagt, als er aus dem schrecklichen Krieg zurückkam.«
    »Oh, ich verstehe«, bemerkte ich weise. »Es muß ziemlich schwierig gewesen sein, in den Schützengräben Frankreichs Löwenzahn zu bekommen.«
    Sie sah mich verächtlich an. »Sagten Sie Frankreich? Frankreich? Ich verstehe euch jungen Leute heutzutage einfach nicht. Der schreckliche Krieg war in Südafrika, das weiß doch jedes Kind.«
    Ich frage sie nach den weiteren Geheimnissen, denen sie ihr hohes Alter zuschrieb.
    »Streng vegetarisch essen, viel Pflaumen, ja nicht dieses Teufelszeug, den Alkohol, keine stinkigen Zigaretten, Enthaltsamkeit und jeden Abend um zehn ins Bett!«
    Ich drückte meine Bewunderung für diese Prinzipien aus und wünschte ihr herzlich noch viele weitere Lebensjahre.
    »Das will ich hoffen!« Als Mrs. Styles unerwarteterweise grinste, wurde eine Reihe falscher Zähne sichtbar. »Ich möchte doch, wie der Rest der Nation, wissen, wie es in Dallas weitergeht.«
    Die rarae aves, die seltenen Vögel im Leben eines praktischen Arztes, kommen wie die Elstern immer paarweise.
    Am nächsten Nachmittag wurde ich von dem Beamten des Gesundheitsdienstes, der für die Betreuung der Alten in unserem Ort zuständig ist, zu Mr. Harold Wooljohn nach Khartoum Crescent gerufen.
    Ich fuhr in eine kleine Straße hinter dem Gaswerk, die von baufälligen Reihenhäusern mit Betonfassaden gesäumt war.
    Mr. Wooljohn war blaß, klein und dick und litt an Blutarmut. Er saß in seiner unaufgeräumten Zweizimmerwohnung im Erdgeschoß und trug eine Kordsamthose mit einem grell karierten Hemd.
    Um das Weiß seiner Augen zu untersuchen, zog ich das untere Lid eines seiner Augen herunter, und sagte aufmunternd: »Sie müssen ja auf die Neunzig zugehen?«
    Er unterbrach sich beim Anzünden einer selbstgedrehten Zigarette und warf mir einen vorsichtigen Blick zu.
    »Sie wollen mich wohl auf den Arm nehmen?« fragte er heiser.
    Bei näherem Hinsehen sind Sie höchstens achtzig.«
    »Wollen Sie sich Geld von mir leihen, oder was ist

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