Wer abnimmt, hat mehr Platz im Leben
vorgenommen.
Es galt wieder Vorkehrungen zu treffen. Die Taktik »Investitionen stärken das Durchhaltevermögen« hatte sich schon einmal bewährt. Ich kaufte mir neue Jogging-Schuhe. Lothar hatte mir damals die Asics Gel Kayano empfohlen. Der Gel Kayano 13 war weiß mit grünem Streifenmuster, und mit der Gelsohle wäre er eine besonders gute Kombination aus Dämpfung und Stabilität, wie der Verkäufer sagte, oder er wäre genau der richtige für schwere Jungs, wie Lothar meinte. Nun, so schwer wie jetzt war ich schon lange nicht mehr. Noch war es einfach, alle guten Vorsätze einzuhalten. Am 23 . Oktober begann die Herbststaffel von »Mittendrin – Männer in den Wechseljahren«. Der erste Auftritt war in Marl, dann folgten Medebach und Hameln, dann zwei Tage Pause, und weiter ging es in Heilbronn, Baden-Baden, Basel und Betzdorf.
Mir war nicht so richtig klar, wie ich da mein Sportprogramm durchziehen wollte. Aber am 21 . hatte ich das Problem noch nicht. Ich lief meine »Große Runde Graurheindorf«.
Graurheindorf hieß früher mal einfach Rheindorf, aber 1809 wurde es nach Bonn eingemeindet, und da tauchte ein Problem auf. Auf der anderen Rheinseite, also rechtsrheinisch, gab es noch ein Rheindorf. Jetzt musste man also dafür sorgen, dass bei so vielen Rheindörfern die Bonner Briefträger nicht durcheinanderkamen.
Nun, der Rheinländer ist ja ein gläubiger Mensch, und wenn er nicht weiterweiß, holt er sich Rat bei der Kirche. Kirchen gab es in beiden Rheindörfern. Und nicht nur das: Es gab auch in beiden Rheindörfern ein Kloster. Da waren linksrheinisch, also Richtung Frankreich, die Zisterzienserinnen, das waren die Nonnen mit der grauen Ordenstracht. Also hieß der Ort fortan – und bis heute – Graurheindorf. Die Nonnen gegenüber waren Benediktinerinnen. Sie trugen ein schwarzes Habit, und deshalb heißt der Ort jetzt Schwarzrheindorf.
Ich habe die möglichen Laufstrecken von unserem Haus aus mit dem Fahrrad abgefahren und die einzelnen Teilstrecken mit dem Tacho vermessen. Dann habe ich mir einen sehr aussagefähigen Lageplan in die Kladde gezeichnet, sodass ich mir nun immer wieder unterschiedlich lange Runden zusammenstellen konnte.
Die »Große Runde Graurheindorf« führt von unserem Haus runter an den Rhein, da gibt es einen Sportplatz, der regelmäßig ein Mal im Jahr überflutet wird. An diesem Sportplatz laufe (oder schwimme) ich rechts vorbei, dann lasse ich die Fähre hinter mir und bewege mich bis zum Ort Graurheindorf am Rhein entlang. Hinter der Pizzeria geht es dann wieder hoch, durch das Dorf und quer über die Felder zurück nach Hause. Macht summa summarum 6 , 99 Kilometer. Das ist die »Große Runde Graurheindorf«.
Läuft man gar nicht erst bis zur Pizzeria, um nicht auf halbem Wege in Versuchung zu geraten, sich auf der Terrasse erst mal eine schöne Steinofenpizza zu genehmigen, sondern schon an der Kirche ins Dorf, dann spart man 2 , 02 Kilometer und landet bei schlappen 4 , 97 Kilometern. Vor nicht allzu langer Zeit war das für mich noch eine Wahnsinnsleistung. Das war dann die »Kleine Runde Graurheindorf«.
Man kann natürlich auch am Sportplatz nach links laufen, bis zur Rheinterrasse in Widdig, hundert Meter weiter links in den kleinen Hohlweg und obenrum wieder zurück. Das ist die »Runde Widdig«. Sie ist einen Tick länger als die »Große Runde Graurheindorf«, trotzdem ist es nur die »Runde Widdig«, nicht die »Große Runde Widdig«, weil es ja keine kleine gibt.
Die »Große Runde Graurheindorf« ist eine tolle Laufstrecke, vor allem morgens. Der Rheinuferweg war früher mal ein Treidel- oder Leinpfad, auf dem die Zugtiere die hölzernen Frachtkähne flussaufwärts ziehen konnten. Heute ist er ein Paradies für Spaziergänger, Walker und Jogger, und natürlich für Fahrradfahrer, die auf diesem Weg von Köln nach Koblenz oder umgekehrt fahren möchten. Ende Oktober sind die Gemüsefelder auf der Rechten fast schon abgeerntet, manchmal liegen schon ein paar Nebelschwaden über dem Fluss.
Heute waren da keine Nebelschwaden, die wurden von den ergiebigen Niederschlägen in den Rhein gedrückt. Es hatte noch ganz trocken ausgesehen, als ich losgelaufen war, aber mittlerweile patschte ich mit den ehemals blütenweißen Asics-Tretern von einer Pfütze in die nächste. Mir lief das Wasser aus den Haaren über das Gesicht, hinten durch den Kragen in die Sportunterwäsche, deren moderne Fasern ja die Aufgabe haben, den Schweiß aufzunehmen und nach außen zu
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