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Wer bin ich ohne dich

Wer bin ich ohne dich

Titel: Wer bin ich ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Nuber
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vielerorts die vermeintlich schulisch benachteiligten Mädchen im Mittelpunkt des Interesses standen; sie ist in den letzten 30 Jahren zusätzlich gestiegen.«
    Experten sehen inzwischen einen klaren Zusammenhang zwischen der frühen Lösung aus der Bindung an die Mutter und typischen Entwicklungsproblemen von Jungen. So wird zum Beispiel die Zunahme des Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms (ADHS) unter heranwachsenden Jungen darauf zurückgeführt. Manche meinen, diese Störung wäre richtiger mit »Beziehungsdefizitsyndrom« bezeichnet.
    Später zeigt sich dieses Beziehungsdefizitsyndrom auch in den Partnerschaften. Weil schon Jungen verlernen, ihre und die Gefühle anderer wahrzunehmen, fällt es dem erwachsenen Mann schwer, Einfühlung zu zeigen, Nähe zuzulassen oder eigene Ängste und Probleme zu offenbaren. Wird er mit den Gefühlen anderer konfrontiert (vor allem mit den Gefühlen der Partnerin) weiß er nicht, wie er damit umgehen soll. Der erwachsene Mann hat Angst vor zu viel Gefühl und bietet deshalb schnell und bereitwillig Lösungen an. Eine Frau, die einfach nur in den Arm genommen und getröstet werden will, bekommt dann stattdessen sachliche Hinweise: »Mach doch dies, hast du schon jenes probiert, ich würde an deiner Stelle …«
Frauen und Männer im selben Boot?
    Psychologen und Bindungsforscher bestätigen immer wieder, dass eine enge Beziehung mit einem Elternteil der beste Schutz für die Gesundheit und vor riskantem Verhalten ist. Eine gute Bindung an wenigstens eine wichtige Bezugsperson in Kindheit und Jugend schafft einen Puffer, an dem emotionaler Stress ab | 160 | prallen kann. Sicher gebundene Kinder haben ausreichend seelische Widerstandskraft (die Psychologie spricht von Resilienz), um die verschiedensten Stresssituationen eines jungen Lebens zu meistern. Wie die Studie zeigen konnte, haben sicher gebundene junge Menschen seltener Suizidgedanken, konsumieren weniger legale oder illegale Drogen. Dieses Ergebnis gilt für Mädchen und Jungen gleichermaßen. Doch während Töchter eine größere Chance haben, wenigstens bis zur Pubertät in einer sicheren Eltern-Kind-Bindung aufwachsen zu können, werden Söhne schon recht früh mit der Aufgabe konfrontiert, sich aus der – meist mütterlichen – Umarmung lösen zu müssen. Für die Mädchen hat dies zur Folge, dass sie, spätestens wenn sie in die Pubertät kommen, merken: Die Selbstverständlichkeit der Bindung lässt sich im Erwachsenenleben nicht fortsetzen. Sie werden mit der Tatsache konfrontiert, dass ihre weiblichen Werte und Eigenschaften in der Gesellschaft und in engen Bindungen keine Wertschätzung erfahren.
    Für die Jungen bedeutet diese Entwicklung, dass sie schon früh ihre Emotionalität bekämpfen und zum »lonely cowboy« werden müssen. Während die Beziehungsfähigkeit der Mädchen ab der Pubertät entweder ausgenutzt oder abgewertet wird, dürfen Jungen ihre Sehnsucht nach Bindung und Nähe nicht offen zeigen. Die geschlechtsspezifische Sozialisation verlangt also von beiden Geschlechtern einen enorm hohen Preis. Dennoch haben Männer das bessere Los gezogen: Denn während Frauen oft neben ihren distanzierten Partnern emotional verhungern, geben beziehungsorientierte Frauen meist von sich aus den Männern die Zuwendung, die diese brauchen. Wie schon erwähnt, bekommen Männer von ihren Frauen emotionale Unterstützung, ihre Partnerin ist oftmals ihre einzige Vertraute. Partnerschaften stärken folglich die seelische Gesundheit von Männern. | 161 |
    Der Schriftsteller Wilhelm Genazino meinte in einem Interview, dass Männer »ohne die Unterstützung der Frauen verloren wären … Frauen haben die Kraft, uns Männer wenigstens phasenweise von unserem Existenzgrübeln zu erlösen.« Und weiter äußert er über seine Geschlechtsgenossen: »Ich glaube, dass Männer massiver ihre Tage haben als Frauen, dass es im Leben eines Mannes also Tage gibt, an denen er weiß, dass eine Woche lang nichts geht, weil er ein Zerwürfnis mit sich selbst hat. Er läuft dann vernachlässigt durch die Gegend und nimmt nichts wahr außer diesem Zerwürfnis.« So gesehen haben auch Männer ihre depressiven Phasen, doch da sie sich meist auf die Zuwendung einer Frau verlassen können, ist ihre Gefahr geringer, dass daraus eine richtige Depression entsteht.
    Was Genazino hier zum Ausdruck bringt, kennen viele Frauen. Männer sind bedürftig, sie haben Probleme mit sich selbst, mit der Arbeit, mit anderen Menschen, aber sie sind häufig

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