Wer bin ich ohne dich
Eine Gesundheitsstudie mit lesbischen Frauen stellte fest, dass Depression der häufigste Grund für gleichgeschlechtliche Frauen war, therapeutische Hilfe zu suchen. Als Gründe für dieses erhöhte Risiko werden in der vorliegenden Literatur vor allem soziale Stressoren genannt: Gleichgeschlechtliche Liebe wird in der Gesellschaft noch immer nicht vollständig akzeptiert; Lesben und Schwule werden am Arbeitsplatz oder auch von ihrer eigenen Familie diskriminiert; Einsamkeit und Isolation sind aufgrund dieser Situation oft weit verbreitet.
Studien mit homosexuellen Männern konnten belegen, dass Ausgrenzungen am Arbeitsplatz, Diskriminierungen bei der Wohnungssuche oder auch Beleidigungen für viele das Risiko erhöhen, körperlich oder seelisch zu erkranken. Für Lesben liegen derartige Untersuchungen nicht vor, aber man kann davon ausgehen, dass auch sie aufgrund der gesellschaftlichen Einstellung zu gleichgeschlechtlicher Liebe – wenn sie nicht in liberalen Großstädten wie beispielsweise Berlin leben – Diskriminierung erfahren müssen.
Es gibt aber auch Schutzfaktoren, die sich nur bei lesbischen Frauen finden lassen. Sie leben häufiger als heterosexuelle Frauen als Singles, und das kann sie, wenn sie in der Lesbenszene integriert sind, vor depressiven Erkrankungen schützen. Die Ehe, das haben Studien immer wieder gezeigt, ist ein Stressfaktor für heterosexuelle Frauen, der ihr Depressionsrisiko deutlich erhöht. Lesbische Frauen kennen diesen Stressfaktor nicht, sie sind in der Regel nicht mit Männern verheiratet und sind daher deutlich weniger in Gefahr, in die traditionelle Frauenrolle zu fallen.
Aber auch lesbische Frauen haben feste Paarbeziehungen – und diese scheinen positiver zu verlaufen als heterosexuelle. Studien, die sich mit den Beziehungen gleichgeschlechtlicher Paare befassen, entdecken jedenfalls wichtige Unterschiede zu hetero | 168 | sexuellen Partnerschaften. So fand der amerikanische Paarforscher John Gottman in einer Untersuchung mit 40 gleichgeschlechtlichen und 40 verheirateten heterosexuellen Paaren heraus, dass das Konflikt- und Streitverhalten in den beiden Gruppen nicht vergleichbar ist. Homosexuelle und lesbische Paare sind kompromissbereiter und achten mehr auf Gleichberechtigung, so der Wissenschaftler. Während Auseinandersetzungen bei heterosexuellen Paaren schnell in einen Machtkampf ausarten, bei dem irgendwann einer der beiden Partner aufgibt und als »Verlierer« vom Platz geht, geht es in gleichgeschlechtlichen Beziehungen weniger destruktiv zu. Vor allem geht es nicht ums Siegen oder ums Rechthaben.
Das bestätigen auch Forschungen der Psychologin Kristine Falco. Sie hat festgestellt, dass es in lesbischen Beziehungen eine spezifisch weibliche Art der Konfliktlösung gibt, die durch zwei Faktoren gekennzeichnet ist: Die Partnerinnen haben das oberste Ziel, die Beziehung aufrechtzuerhalten. Und sie suchen nach einer Lösung, die sich an den Bedürfnissen der Schwächeren, Bedürftigeren orientiert. Rücksichtnahme ist ein wichtiger Aspekt in den Auseinandersetzungen liebender Frauen: Eine lesbische Partnerin kann ihre Bedürfnisse zurückstellen, wenn sie spürt, dass die andere verwundbarer oder bedürftiger ist als sie selbst.
Auch jenseits von Konflikten sind Kompromissbereitschaft und Gleichberechtigung wichtige Werte in lesbischen Beziehungen. »Die Mehrheit der lesbischen Paare scheint sich zu bemühen, ihre Mittel so weit wie möglich aufzuteilen, sich an der Hausarbeit in gleichem Ausmaß zu beteiligen, ihre Entscheidungen gleichberechtigt zu treffen und für ihre Haushaltsführungskosten sowie Freizeitausgaben entweder gemeinsam oder nach einem individuellen System aufzukommen, welches dem Einkommen jeder Partnerin gerecht wird«, schreibt Kristine Falco in einer Zusammenfassung des vorliegenden Forschungsstandes. | 169 | Und sie fügt hinzu: »Manchmal werden lesbische Beziehungen als die Verkörperung des feministischen Ideals von Gleichberechtigung in Beziehungen betrachtet.«
Eine zu optimistische Einschätzung? Bei allen Belastungen, die lesbische Beziehungen zu bewältigen haben, zeichnen die wenigen vorliegenden Studien tatsächlich ein sehr positives Bild von lesbischen Partnerschaften und heben dabei vor allem zwei Aspekte hervor: die Sorge um die Partnerin und das Verständnis füreinander.
Die Psychologinnen Valerie J. Freysinger und D. Flannery haben eine Studie mit neun lesbischen Paaren durchgeführt, die gemeinsam Kinder groß zogen.
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