Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)
mit der Beute“ vollends zu beenden, das der Priester begonnen hatte, stand fest. „Sicher nicht, um Sie um Leben zu lassen.“
Mir war deutlich bewusst, wie grausam meine Worte klangen und dass sie einen maßlosen Schrecken in ihr auslösten. Johanna starrte mich an, als sei ich ein grauenerregendes Ungeheuer, das gerade aus dem Nichts vor ihren Augen aufgetaucht war. Ihre Mimik verriet namenloses Entsetzen. Ich erkannte diesen Blick wieder: Die Todesangst, das verzweifelte Festhalten am Leben... Johanna war plötzlich die junge Frau, die ich vor vielen Jahren von ihren Fesseln befreit und entkommen lassen habe. Die Frau, deren angstvolle Augen mein hartes Schutzschild zerschmettert hatten und die meine Gefühle in mir wieder zum Leben erweckt hatte. Sie waren beide im selben Alter, fast noch Kinder. Ihre Augen hatten dieselbe hellblaue Farbe, und dieselbe tiefe Menschlichkeit lag ihnen. Johanna war das Spiegelbild eines Ereignisses, das für mich zu einer kompletten Umkehr geführt hatte. Und DAS war der Grund, warum sie hier war.
Es dauerte sehr lange, bis sie sich soweit gefangen hatte, dass sie wieder in der Lage war, zu reden. Ihre Stimme klang jetzt anders, als vorher: hohl und fremd.
„Man... man kann mit meinem Vater reden“, schlug sie vor und klammerte sich damit an den letzten Strohhalm, der ihr noch geblieben war. „Wenn Sie... ich meine... wenn Sie ein politisches Ziel haben... Man kann mit ihm reden. Er wird alles was Sie verlangen... Alles, damit ich am Leben bleibe...“
Unruhig suchten ihre Augen die Dunkelheit hinter meinem Rücken ab. Sie wartete auf die Rückkehr des Mannes, der ihr als der „Richter“ bekannt war, sehnte ihn geradezu herbei: Der „Richter“ hatte ihr Hoffnung gegeben. Hoffnung, sehr bald wieder in ihr hübsches, großes Herrenhaus zurückkehren zu können, unversehrt, und mit der besten Voraussetzung , diese unliebsame Störung ihres Lebens in einigen Monaten zu vergessen.
Ich war derjenige, der ihre Hoffnungen zerstörte: Der Böse, der ihr mit Kälte und Grausamkeit begegnete. Mir war nun deutlich bewusst, worum es dem Priester heute Nacht ging. Die ohne Zweifel absichtlich herbeigeführte Anspielung auf den Tag, als zum ersten Mal meine Gefühle über die Loyalität zu ihm gesiegt hatten, sprach Bände.
Johanna war die an mich herangetragene Versuchung:
Die Versuchung zum Guten. Sie war Katharina, sie war Diane und sie war die fremde junge Frau, deren Namen ich nie erfahren hatte.
Sie war die Menschlichkeit in mir. Oder, wie der Priester es ausdrücken würde: Sie war meine Schwäche.
Diese Schwäche galt es, zu besiegen, wenn der Priester mir meinen Willen zur Umkehr wirklich abnehmen sollte. Und am Ende würde der Richter die Waagschale in die Hand nehmen und sein Urteil fällen.
Meine Seele erstarrte zu Eis, sodass jede menschliche Regung erfror. Mich erstaunte kaum mehr, wie schnell ich diese Wandlung inzwischen vollziehen konnte. Und der Gedanke, dass es mir vielleicht irgendwann plötzlich unmöglich sein könnte, diesen Zustand der Leere rückgängig zu machen, quälte mich erst sehr viel später.
„Ihr Vater ist uns egal“, gab ich ihr kalt zurück. „Dem Richter ebenso, wie mir.“
Sie zuckte von mir zurück und ich spürte deutlich, dass sie mit dem Gedanken spielte, zu flüchten. Nun, da sie die Wahrheit wusste, hatte sie nichts mehr zu verlieren. Und schließlich waren nur ihre Hände gefesselt. Ihre Beine waren frei. – Was sie noch zurück hielt, war die Gewissheit, dass ich schneller auf den Beinen sein würde, als sie. Ihre Röcke würden sie an einer wirklich effektiven Flucht hindern.
Hinter mir vernahm ich die Schritte des Priesters und gleich darauf auch seine Stimme. „Johanna, es tut mir leid, dass ich dir nun deinen Gesprächspartner rauben muss. Aber ich fürchte, wir haben noch einiges zusammen zu erledigen.“
Ich drehte den Kopf in seine Richtung und erblickte ein zusammengerolltes Strick in seinen Händen, das er mir in derselben Sekunde vor die Füße warf. Johanna begriff sofort, dass eine Wendung ihrer Fluchtmöglichkeiten zum Schlechten bevorstand. Sie nutzte den Augenblick meiner Ablenkung dazu, erstaunlich flink auf die Beine zu springen und in die Finsternis davon zu stolpern.
Der Priester regte sich nicht, sondern schaute ihr nur hinterher. Ich ergriff das Strick und sprang ebenfalls auf, jedoch nicht, ohne einen düsteren Blick über die Schulter zu ihm zurück zu werfen. Dann folgte ich Johanna aus dem
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