Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)
das Feuer heran lenkte, konnte ich die dunklen Konturen zweier Menschen erkennen. Die eine Person saß mit dem Rücken zu mir, und die zweite konnte ich im Halbprofil sehen. Das Gegenlicht machte aus jedem von ihnen einen Schattenriss ohne Details. Erst, als ich bis auf wenige Meter herangekommen war, wurde mir klar, dass ich auf das Profil einer Frau blickte, mit einer schmalen, geraden Nase und lose über die Schultern fallendem Haar.
Ich hielt den Schwarzen an, der trotz seines hohen Tempos beinah auf der Stelle zum Stehen kam. Der Mann, der mir mit dem Rücken zu mir gesessen hatte, wandte sich um und sah mich an: Es war der Priester. Sein Gesicht war unverhüllt und seine Mimik verriet mir sofort, dass Unannehmlichkeiten auf mich warteten: Er zeigte ein breites Lächeln.
„Steig ab und komm heran, mein Freund“, sagte er freundlich und hob dabei die Hand zum Gruß.
Auch die Frau hatte den Kopf in meine Richtung gedreht. Ich erkannte, dass sie noch sehr jung war. Viel jünger, als ich es beim Anblick ihres Profils vermutet hätte. Genau genommen war sie noch ein Mädchen, vielleicht sechzehn oder siebzehn Jahre alt. Ich sah, dass ihre Unterlippe leicht geschwollen war, und an ihrem Kinn klebte getrocknetes Blut. Doch sie wirkte nicht sonderlich verängstigt auf mich, sondern ihr Blick haftete eher mit einem neugierigen Misstrauen auf mir. Ich saß von meinem Pferd ab und näherte mich ihnen bis auf einen Meter. Dann blieb ich vor ihnen stehen, um die Situation genauer zu erfassen.
Die Hände der jungen Frau waren auf ihrem Rücken gebunden und ihr Kleid, das aus einem nicht wenig kostbaren Stoff bestand, war an einigen Stellen zerrissen. Ihr Haar hatte sie offensichtlich nicht selbst gelöst: Es war zerzaust und am Haaransatz waren noch Reste von Zöpfen zu erkennen. Sie saß mit ausgestreckten Beinen vor dem Feuer, und der Priester befand sich direkt an ihrer Seite. Er hob die buschigen Augenbrauen, als er zu mir hochsah, und in seinen Augen blitzte es. „Darf ich dir einen guten Freund von mir vorstellen: Das ist Robert“, sagte er zu der jungen Frau, während er jedoch weiterhin mich anblickte. „Robert: Die junge Dame heißt Johanna.“ Er deutete auf die Gefangene, die mich mit einem leichten, verunsicherten Nicken begrüßte.
Der Priester rückte ein wenig von der Frau ab und wies auf den frei gewordenen Platz in ihrer Mitte. „Setz dich doch zu uns.“
Ich wusste nicht, was dieses merkwürdige Arrangement zu bedeuten hatte, beschloss jedoch, ohne irgendein Wort zwischen ihnen Platz zu nehmen. Den Blick richtete ich auf den Priester, als ich an dem mir zugewiesenen Ort auf dem kühlen Waldboden saß.
„Ich dachte mir“, sagte er sogleich mit einem derart freundlichen Gesicht, dass es kein Wässerchen trüben konnte, „dass du vielleicht gerne Johannas Bekanntschaft machen würdest.“
„Ist das ein schlechter Scherz?“ fragte ich grimmig. Was auch immer der Priester vorhatte, ein reiner Spaß würde es mit Sicherheit nicht werden.
Er hob den Arm und klopfte mir freundschaftlich auf die Schulter. „He, wer wird denn gleich so böse sein!“ Und an die junge Frau gewandt meinte er: „Mein Freund hier ist manchmal etwas übellaunig. Bitte verzeih ihm.“
Ich drehte den Kopf in ihre Richtung, unsere Blicke begegneten sich.
Wieder spürte ich deutlich, dass diese Frau kaum wirkliche Angst vor uns hatte. Irgendetwas war da, was es ihr verbot, den gefährlichen Ernst der
Situation voll und ganz zu erfassen. Sie war verwirrt, wusste nicht, wie ihr geschehen war, warum man sie hierher gebracht hatte. Doch den Tod erwartete sie nicht.
„Johanna kommt aus Altkooven“, erläuterte mir der Priester in einem Plauderton. „Das ist etwas mehr als einen Tagesritt im Westen. - Ich habe diesen anscheinend ziemlich begriffsstutzigen Männern eigentlich recht deutlich gesagt, dass sie ihr kein Leid zufügen sollen. Wir wollen doch niemanden verletzen.“
Ich stieß hörbar die Luft durch die Nase aus.
„Sie waren trotzdem recht unwirsch zu ihr“, fuhr er fort, die eindeutige Kundgebung meiner Missbilligung überhörend. „Ich war nicht erfreut, zu sehen, wie schlecht sie Johanna behandelt haben.“
Ich sah immer noch die Frau an, der Priester redete gegen meinen Hinterkopf. Doch ich hörte ihn nur zu deutlich, und seine heuchlerischen Worte schlugen mir ziemlich auf den Magen.
Die junge Frau – Johanna – hatte nichtsdestotrotz im Vergleich zu anderen Menschen, die mehr als einen ganzen Tag
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