Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)
den Handflächen nach oben gerichtet. „Leg deine Handflächen auf meine“, forderte er sie auf.
Mit einem Blick in seine Augen vergewisserte Diane sich, dass er diese Anweisung ernst meinte und sich durch sein rätselhaftes Verhalten nicht über sie lustig machte. Etwas zögernd tat sie, was er sagte. Flach presste sie ihre Hände gegen die seinen und bemerkte, dass seine Haut ganz kühl war.
„Es ist ein ganz einfaches Spiel“, sagte Konrad mit leiser Stimme, während er sie ganz ruhig ansah. „Du musst dich einfach fallenlassen, Diane. Ich werde dich führen.“
Was hatte das zu bedeuten?
Diane erwiderte seinen Blick und ihr war dabei nicht bewusst, wie heftig ihr Herz in dem Moment zu klopfen begann. Die Wärme seiner Augen stand im Kontrast zur Kälte seiner Hände, einer Kälte, die sich über die Handgelenke in ihren Unterarmen ausbreitete und von dort bis in die Schultern kroch.
„Bitte vertrau mir“, bat er sie. „Du musst mir vertrauen und mir folgen.“
Was er sagte, schien ihr rätselhaft. Die ganze Situation war rätselhaft.
Doch sie musste daran denken, wie Konrad vor wenigen Tagen noch im unteren Speisezimmer gesessen hatte, locker auf seinem Stuhl zurückgelehnt, doch die Augen weit geöffnet, den Blick auf die Teekanne vor ihm auf dem Tisch gerichtet. Es war merklich kühl gewesen, im Raum. Obwohl der Ofen in der Ecke brannte.
Und die Teekanne hatte sich bewegt, ohne dass Konrad sie auch nur im Geringsten berührt hatte. Anna war sogar unter den Tisch gekrochen, um seine Beine beobachten zu können, und Diane hatte seinen Oberkörper im Auge behalten. Doch kein Glied seines Körpers hatte auch nur die geringste Bewegung gezeigt, nichts, was die langsame, aber stetige Drehung der Teekanne um ihre eigene Achse hätte bewirken können.
„Vielleicht... war es wirklich kein
Trick“, hatte die schlaue, stets misstrauische Anna später zu ihr gesagt, nachdem Konrad gegangen war. „Vielleicht gibt es tatsächlich noch etwas Anderes, als Jahrmarktszauber...“
Diane beschloss, sich überraschen zu lassen. Sie wollte offen sein, für alles, was kommen würde.
„Alles in Ordnung?“ fragte er sie.
Sie nickte langsam: „Alles in Ordnung.“
„Schau nicht fort“, wies er sie an. „Du musst mir in die Augen sehen. Und lass deine Hände, wo sie sind. Zieh sie nicht weg, egal, was passiert.“
Wiederum nickte Diane. Ihre Fingerspitzen kribbelten leicht und sie sah in diese warmen, braunen Augen, die ihr schon seit Jahren vertraut zu sein schienen. Ihr Misstrauen schrumpfte, während sie sich in seinen Blick vertiefte. Der Aufruhr, der in ihrem Körperinneren ausbrach, drang kaum in ihr Bewusstsein: Ihr Herzschlag schien sich zu überschlagen, ihr Puls raste. Doch in ihrem Kopf breitete sich eine im Gegensatz dazu stehende Ruhe aus, durch die die Abwehrhaltung ihres Restkörpers einfach ausgeblendet wurde.
„Komm mit mir“, raunte Konrad ihr zu und plötzlich schien seine Stimme die ganze Welt auszufüllen. Da war nichts mehr um sie herum, nur noch seine hypnotischen Augen und diese flüsternde Stimme. „Komm mit mir“, wiederholte er, und ihre von Kälte durchdrungenen Arme wurden ganz gefühllos und schlaff. „Vertrau mir.“
Sie begann, zu fallen.
Ihr Körper war verschwunden und ihr Geist fiel durch einen wirbelnden Tunnel, tiefer und tiefer, irgendwo durch Zeit und Raum. Sie verspürte keine Angst, kein Missfallen, keine Sorge. Sie war aus ihrem Leib befreit worden und tanzte schwerelos in einer Welt ohne Materie. Sie hörte Konrads Stimme, als sei diese weit, weit entfernt. Sie verstand nicht mehr, was er sagte, doch der Klang seiner Worte war wie ein sanfter Stoß, der sie weiter hinein in den Tunnel trieb. Das Gefühl der Kälte nahm zu, obwohl es keineswegs mehr körperlich war, denn ihren Körper hatte sie weit hinter sich gelassen. Das Licht um sie herum, das sie weniger sah, als vielmehr spürte, war kühl und gab keine Wärme ab.
Plötzlich waren da diese tiefblauen, riesigen Augen, vor Panik und Schmerz geweitet, und die Luft war erfüllt von hysterischen Schreien. Es war Bernhards schreckensbleiches Gesicht, das irgendwo aus dem grellen Licht auftauchte, den Blick an ihr vorbei gerichtet, als sähe er sie nicht. Die schmalen, blutleeren Lippen zitterten und seinen Augen, in denen sich maßloses Grauen spiegelte, starrten ins Leere.
Sie wollte seinen Namen rufen, sie wollte ihren kleinen Bruder tröstend in die Arme schließen, doch sie hatte keine Stimme
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