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Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)

Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)

Titel: Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Gees
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und auch keine Arme mehr. Sie war ein körperloses Wesen, ohne die Möglichkeit, einzugreifen, in das, was sie sah. Ein Gefühl quälender Hilflosigkeit überkam sie. Dann sah sie das Messer. Es war blutverschmiert und seine scharfe Klinge fuhr in kurzen, schnellen Schnitten über Bernhards Stirn und ritze tief in die blasse Haut. Die Schreie aus dem Mund ihres kleinen Bruders zerrissen Dianes Herz, ein unvorstellbares Leid lag in ihnen. Doch sie musste weiter zusehen, konnte ihm nicht helfen, konnte sich auch nicht abwenden, davonlaufen, dem furchtbaren Anblick entkommen.
    Sie musste mit ansehen, wie die dünnen, blassen Unterarme, die sich so oft voll Zuneigung um ihren Körper gelegt hatten, von dem scharfen Messer aufgerissen wurden. Blut schoss aus den geöffneten Pulsadern, ergoss sich über die weiße Haut und auf den erdigen Boden. Diane schrie, doch kein Laut kam ihr über die Lippen. Sie war erfüllt von unbändiger Angst und von einem heißen Zorn!
    Wer tat ihm dieses grausame Leid an, diesem zerbrechlichen Kind, das sie so sehr liebte?
    Als sie das Gesicht des Mannes mit dem Messer erblickte, wurde alles um sie herum und in ihrem Inneren plötzlich stumpf und leer. Der wirbelnde Strom von Bildern und Gedanken, der sie umgab, schien für eine Sekunde schmerzhaft zu stoppen. Es war, als würde ihre Seele im Zeitlupentempo entzwei gerissen, mit einer betäubenden Gewalt, die jedes erdenkliche Maß überstieg: Die schwarzen Augen waren so kalt, wie ihre immaterielle Umgebung und das grelle Licht um sie herum. Aus ihnen sprach nichts mehr, nicht das geringste Gefühl, nicht das kleinste bisschen Menschlichkeit.
    Dann war der Moment der Betäubung vorbei, und ein rasender Schmerz setzte ein. Diane schrie abermals, doch diesmal konnte sie ihre eigene Stimme ganz deutlich vernehmen. Es war, als wäre Bernhards Pein auf sie übergangen und entlud sich in einem gewaltigen, brennenden Feuer in ihrem Inneren.
    Hände umklammerten die ihren, hielten sie fest, als sie mit den Armen wild um sich schlagen wollte. Der eiserne Griff und die Kühle der Finger brachten sie ohne Übergang zurück in die Realität, doch sie konnte nicht aufhören, zu schreien.
    „Diane“, redete Konrad auf sie ein, während er ihre Hände, die nach ihm schlagen wollten, mit seinen Fingern umschlang. „Diane, komm zurück, ruhig, ganz ruhig! Du bist wieder hier, Diane. Niemand wird dir etwas tun. Bitte sei ruhig, es ist alles in Ordnung.“
    Irgendwie drang die Botschaft zu ihr durch, der schmerzensvolle Schrei verstummte und ihre Arme erschlafften in seinem Griff. Voller Entsetzen blickte sie ihn an, zitternd vor Schmerz, Angst und Zorn.
    „Es ist vorbei, Diane“, versuchte er, sie zu trösten. „Da ist nichts, was dir etwas anhaben kann. Alles nur Illusion.“
    In Dianes Augen brannten Tränen, doch sie weigerte sich, dem Schmerz nachzugeben: Sie würde nicht weinen, auch jetzt nicht, auch wenn alles um sie herum einstürzte und ihr Herz ein glühender Klumpen in ihrer Brust war. Sie würde diese grauenvollen Gefühle besiegen und den furchtbaren Blick in die kalten, schwarzen Augen eines Mannes, den sie geglaubt hatte, zu lieben, zur Nahrung ihres Zorns machen.
    Denn unbändige Wut, war alles, was sie aus dem Gefühlschaos in ihrem Inneren aussortieren und zulassen wollte. Nicht den Schmerz, die Angst oder gar die Verzweiflung. Heißer, brennender Zorn war, was übrig bleiben sollte. Nach einigen Momenten der Stille, in denen sie krampfhaft versuchte, das Zittern ihres Körpers unter Kontrolle zu bringen, fragte Diane sehr, sehr leise und ernst. „ Was war das? “
    Konrad antwortete ihr mit einer Gegenfrage. „Was hast du gesehen?“
    „Ich...“, Diane brach ab. Ihr Gehirn weigerte sich, das Erlebte in Worte zu fassen. Es war von einer zu intensiven Realität gewesen.
    „Hast du Bernhard gesehen?“ versuchte Konrad, ihr auf die Sprünge zu helfen. „Ich wollte dich zu ihm führen, wo immer er auch sein mag...“
    Diane gab einen erstickten Laut von sich, der in ihren Ohren wie ein heiseres Keuchen klang. Sie fühlte den kalten Schweiß auf ihrer Stirn und ihrem Rücken. Das Zittern hatte noch immer nicht aufgehört. „Das hast du geschafft...“, brachte sie tonlos hervor.
    In Konrads Gesicht zuckte etwas. „Dann...“, meinte er zögernd und schlug gleich darauf verwirrt –vielleicht auch etwas schuldbewusst- die Augen nieder, „...dann ist wohl wirklich etwas Schlimmes geschehen...“
    Diane atmete tief durch, bevor sie

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