Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)
ihm eine weitere Frage stellen konnte. „War das, was ich gesehen habe, real?“
Konrad hob den Blick wieder, in seinen sonst so stillen Augen war ein unruhiges Flackern zu erkennen. „Vielleicht habe ich einen Fehler gemacht“, sagte er. „Was du gesehen hast, muss furchtbar gewesen sein, deinem Schrei nach zu urteilen. Aber... ich befürchte... es spricht viel dafür, dass du gerade gesehen hast, was wirklich mit Bernhard geschehen ist.“
Diane schüttelte voller Entsetzen den Kopf.
„Erzähl mir davon“, bat er sie. „Dann können wir darüber reden...“
Ihr Kopf weigerte sich noch immer, das Gesehen zu verarbeiten oder gar zu akzeptieren. Doch ihre Gefühlswelt widersprach komplett ihrem Verstand, ihr Herz war noch immer ausgefüllt von namenlosem Zorn, der immer mehr den Schmerz und die Angst in den Hintergrund drängte.
„ Ich kann nicht “, betonte Diane, entzog sich seiner Berührung und ballte die Hände zu Fäusten, im Bemühen, die innerliche Beherrschung zurück zu erzwingen.
„Er ist nicht mehr am Leben“, stellte Konrad fest und forschte ruhig in ihrem Gesicht.
Sie nickte stumm und biss sich auf die zitternde Unterlippe. Ein kühler Schweißtropfen rann von der Stirn über ihre Wange herab. Er fühlte sich an, wie eine Träne. Doch Konrads Miene verriet dieselbe Ruhe und Beherrschtheit, die sie von ihm gewohnt war. Diane spannte ihre Fäuste an, sodass ihre Fingernägel sich tief in ihre Handflächen gruben: Ihr war danach zumute, laut zu schreien.
„Oh, Diane...“, entfuhr es Konrad traurig, doch er wagte es nicht, sie tröstend zu berühren. Ihr Gesichtsausdruck war abweisend, in ihren Augen war die mühsam unterdrückte Wut zu sehen.
„ Ermordet! “ brach es plötzlich aus ihr hervor, und das unkontrollierte Beben ihres Körpers verstärkte sich noch.
„ Geschlachtet, wie ein Stück Vieh! “
Konrad regte sich bei diesem zornigen Ausruf nicht, sein Blick blieb auf ihr Gesicht geheftet. Die grausame Wahrheit schien für ihn keine Überraschung zu sein, nachdem er ihre heftige Reaktion auf die vor ihren Augen erschienen Vision vorhin noch erlebt hatte.
„Ich... wollte dich nicht erschrecken“, erklärte er ihr stockend. „Doch es war der einzige Weg, den ich gesehen habe, um die Wahrheit herauszufinden.“
Diane schluchzte, doch noch immer hielt sie die Tränen zurück. Ihre Fingerknöchel traten weiß hervor, so fest hielt sie ihre Hände geballt. Die Fingernägel gruben tiefe Kerben in ihre Handflächen. Eine Weile herrschte Schweigen, während Diane sich bemühte, sich wieder einigermaßen zu fangen. Doch in ihrem Körper herrschte ein einziges Chaos, alle Organe schienen zu rebellieren. Irgendwann presste sie mit großer Mühe die Worte hervor . „Wenn es real war, dann... dann ist es wirklich Robert gewesen.“
Sehr, sehr langsam streckte Konrad seine Hand nach ihr aus und hielt sie ihr an, als sei sie ein Rettungsanker, den er ihr anbot. Diane griff danach mit einer schnellen, unkontrollierten Bewegung. Sie hielt seine Hand so fest, als sei sie das einzige, was sie noch vor dem Absturz in den Wahnsinn bewahren konnte. Ihre eigene fieberheiße Haut wurde durch die Kühle seiner Berührung nur wenig abgekühlt.
„Du musst dir darüber klar werden“, begann er in ruhigem Tonfall, „dass alles , was du gesehen hast, der Wahrheit entspricht. Ich habe dich zu deinem Bruder geführt, anscheinend direkt zu den letzten Momenten seines Lebens. Das war keinesfalls so etwas, wie ein schlimmer Alptraum. Es war die Wahrheit.“
„Ich... ich muss ihm gegenüber treten“, sagte Diane heiser.
Konrad schüttelte leicht den Kopf. „Nein, Diane, nein. Er ist gefährlicher, als du es dir vorstellst. Er könnte mit dir dasselbe machen, wie...“
„ Ich gehe zu ihm“ ; unterbrach sie Konrad, diesmal in festerem Tonfall. „Er soll mir in die Augen sehen und mir sagen, was er getan hat. Und warum .“
„Und dann?“ fragte Konrad. „Was wirst du davon haben, außer, dass du dich in Lebensgefahr bringst?“
„Gewissheit“, erwiderte sie. „ Das werde ich davon haben.“
„Diane, dieser Mann muss krank sein“, warnte er sie eindringlich. „Du riskierst es, für deine Gewissheit mit dem Leben zu bezahlen!“
„Vielleicht bin nicht ich es, die bezahlen muss“, sagte sie und ihre Stimme kam ihr plötzlich leer und fremd vor. „Sondern er.“
„Dann“, meinte Konrad und seine Finger schlossen sich ein wenig fester um die ihren, „solltest du dir wirklich
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