Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer Boeses saet

Wer Boeses saet

Titel: Wer Boeses saet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Descosse
Vom Netzwerk:
Kokon ihrer Kindheit zurücksehnten.
    Die Dekoration des Internetcafés illustrierte diese Realität. Bilder von Captain Future, Goldorak oder Captain Harlock hingen neben Candy, Casimir oder den Masters of the Universe. All diese Pappstars hatten einen Rahmen und hingen an einer rosa fluoreszierenden Jutesackleinwand. Der Effekt war gewollt: Die Textur erinnerte an die spinnennetzartigen Fasern von Zuckerwatte.
    François schloss die Tür hinter sich. Es roch nach Zitrone und Honig. Angenehme Temperatur. Nach der Straße, der Kälte und den abgerissenen Gestalten, die beim Forum he-rumhingen, hatte der Laden etwas von einer Pappkartonversion des Garten Eden.
    Drei Gäste beugten sich zu den Bildschirmen vor. Die anderen Computerplätze, mindestens dreißig auf zwei Reihen verteilt, waren unbesetzt. Hinten lümmelte ein junger Typ in einem durchsichtigen Wachhäuschen vor einer Spielkonsole herum.
    Der Kommissar ging durch den Raum und klopfte mit dem Zeigefinger an die Scheibe. Der Typ, der drinnen saß, sah mit leeren Augen zu ihm auf. Das Gesicht unter den Rastalocken war völlig ausdruckslos, er schien gerade dem Bett entstiegen zu sein. Ein vages Lächeln. Mit einer weit ausholenden Handbewegung machte er dem Besucher klar, dass die meisten Computer frei waren. Bevor er wieder in seine Welt abtauchte, drückte François schnell seinen Ausweis gegen die Scheibe.
    Die Pupillen der Molluske weiteten sich, sein Mund rundete sich. Er sagte etwas Unverständliches. François zeigte auf sein Ohr und zog die Brauen hoch. Dem anderen wurde das Offenkundige klar. Fünf Zentimeter Sicherheitsglas trennte sie voneinander.
    Wie ein Insekt, das aus seiner Hülle schlüpft, entfaltete der Bursche sein Skelett. Groß, mager, eine Mondgestalt. Er kramte in seiner Tasche, holte einen flachen Schlüssel heraus und schloss auf. Mit dem Gang eines wandelnden Toten kam er auf François zu.
    »Hallo.«
    Ein Tonfall wie ein Aphasiker. Der Kommissar fragte ihn:
    »Sind Sie hier verantwortlich?«
    »Äh, nein …«
    »Gibt es hier irgendwo einen, der verantwortlich ist?«
    »Äh, nein …«
    »Kümmert sich denn niemand um den Laden?«
    »Doch, ich.«
    François lächelte. Ein verkrampftes Lächeln, mit dem er seinen Ärger zu verbergen suchte.
    »Fangen wir noch mal ganz von vorn an. Was ist Ihre Aufgabe hier?«
    »Wartung.«
    »Wovon?«
    »Programmierfehler.«
    »Ist das alles?«
    »Oh, ja …«
    »Sie machen nicht einmal die Kasse?«
    »Gibt hier keine Kasse. Die Bezahlung geht online, über die Computer.«
    »Warum sind Sie dann eingeschlossen?«
    »Haben Sie sich nicht umgesehen draußen?«
    Ein Dialog von Irren. François versuchte es mit einer Flanke:
    »Eine Frau, zwischen fünfunddreißig und sechzig, die seit November regelmäßig hierherkommt. Immer sehr früh am Morgen. Letzte Woche war sie zum letzten Mal hier. Am fünfzehnten Januar um sieben Uhr dreißig, um genau zu sein. Sagt Ihnen das was?«
    Ein Blick wie ein Bügeleisen.
    »Ich arbeite nur nachts. Tagsüber bin ich nicht hier.«
    »Aber jetzt sind Sie doch hier, oder?«
    »Ja, in gewisser Weise …«
    François fragte sich, ob dieser Pseudorastafari sich über ihn lustig machte. Aber nein. Er war nur völlig neben der Spur. Komplett abgedreht.
    »Wer macht den Tagdienst?«
    »Ludo.«
    »Wo ist er?«
    »Müde.«
    Der Polizist konnte nicht umhin, ihn anzuraunzen:
    »Ist der vom selben Kaliber wie Sie?«
    Idiotisches Lächeln.
    »Ah, nein, Ludo, der redet nicht so viel …«
    Das wurde ja immer besser. François wollte die Sache schon auf sich beruhen lassen, als das Wunder geschah.
    »Gehen Sie zu Manu dahinten. Der hockt rund um die Uhr vor der Kiste. Wenn Sie mich fragen, der hat kein Zuhause.«
    Der Profiler deutete mit dem Kinn in die angezeigte Richtung. Vor einem der Bildschirme, ein wenig abseits, saß ein Fettleibiger und griff nach Herzenslust in die Tasten.
    François ging zu ihm.
    »Manu?«
    »Was wollen Sie?«, grummelte er, ohne mit dem Tippen aufzuhören.
    Der Mann war so um die dreißig. Nicht dick, sondern fett. Das Fett bildete wabernde Pakete unter dem T-Shirt, wie Gelatine, die bei jeder Bewegung ins Zittern geriet. Eine Trifokalbrille entstellte sein Gesicht, das noch dazu hinter einem dünnen Bart verschwand. Er hatte dichtes schwarzes Haar, das zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden war. Zu seinen Füßen stand eine geöffnete Sportasche, randvoll mit Schokoriegeln.
    »Ich bin von der Polizei. Ich möchte Ihnen zwei oder drei Fragen

Weitere Kostenlose Bücher