Wer Boeses saet
Roi-René
Absolut nichts.
Nachdem sie eine Dreiviertelstunde völlig sinnlos verplempert hatte, nahm Julia die vierte Adresse in Angriff, die Lorenzo ihr gegeben hatte.
Jean Buffet.
23, Rue du Râteau.
Sollte sie wieder Pech haben, würde sie ihr Auto holen und das Stadtviertel verlassen müssen. Sechs weitere Profis standen noch auf der Liste. Vielleicht hatten sie Antworten parat.
Als sie die Tür zu dem Fotostudio öffnete, hatte Julia eine Vorahnung. Lucie war hier gewesen. Sie war über den dicken grauen Teppich gelaufen, sie hatte sich auf einen der Stühle aus bemaltem Holz gesetzt, hatte wahrscheinlich ein Glas Wasser bei dem Mineralwasserspender getrunken, der beim Fenster stand.
Der Mann empfing sie in einem kleinen Büro. Tweedweste, beigefarbener Rollkragenpullover und dazu noch ein schöner Schnurrbart. Er sah nicht gerade wie ein Killer aus. Eher wie ein schon etwas in die Jahre gekommener Hobbybauer.
Die Ermittlungsbeamtin schilderte die Sachlage. Er wartete gar nicht erst das Ende der Geschichte ab, sondern fiel ihr schon recht bald ins Wort.
»Diese junge Frau ist letzten Sonntag hier gewesen. So gehen sechzehn Uhr.«
Guter Anfang. Zumindest in diesem Punkt hatte ihre Intuition sie nicht getrogen.
»Sie war sehr aggressiv«, fuhr der Fotograf fort. »Ich denke mal, sie stand unter Drogen. Jedenfalls konnte ich ihrer Forderung nicht nachkommen.«
Das waren wieder drei Schritte zurück. Wer hatte Lucie denn dann fotografiert? Wer nur? Die junge Frau hakte weiter nach.
»Aus welchem Grund?«
»Ich war schon im Verzug. Am Sonntag entwickle ich die Hochzeitsfotos vom Samstag. Die Leute haben es heutzutage sehr eilig …«
Klare Antworten, altmodische Ausdrucksweise. Ein würdiger Vertreter der Handwerkszunft, ehrlich und aufrichtig, das Auslaufmodell des guten Familienvaters.
Trotzdem war Julia erstaunt.
»Hochzeiten? Ich dachte, Sie sind Modefotograf?«
Amüsiertes Lächeln.
»Wer hat Ihnen denn das erzählt?«
»Warum? Stimmt es denn nicht?«
»Ich mache Porträts. Das ist nicht ganz dasselbe.«
Lorenzo hatte die Wahrheit ein bisschen aufpoliert. Er war in derselben Lage wie die anderen auch und zog es vor, sich als was Besseres hinzustellen. Vor allem gegenüber einer Frau.
Sie fuhr fort:
»Haben Sie sie zu einem anderen Kollegen geschickt?«
»Konnte ich gar nicht. Ich bin der Einzige, der sieben Tage die Woche geöffnet hat.«
Wieder eine Sackgasse. Der jungen Frau pochte es vor Wut in den Schläfen. Sie schnellte von ihrem Sitz hoch, als der Fotograf bemerkte:
»Ich glaube, sie ist gleich über einen ihrer Bekannten hergefallen …«
Julia hielt in der Bewegung inne.
»Wie …«
»Sie war sehr wütend. Erst hat sie mich beschimpft. Als ich nicht reagierte, hat sie versucht, mich zu verletzen.«
»Wie denn?«
»Indem sie verächtlich über meine Arbeit herzog. In ihren eigenen Worten war ich ein ›Betrüger‹. Wie übrigens all meine Kollegen. Jeder x-beliebige Amateur wäre in der Lage, ihr ein Modelbook zu machen.«
»Wer denn? Hat sie jemand Bestimmten erwähnt?«
»Sie hat keinen Namen genannt, sondern einfach nur behauptet, da würde sie jetzt hingehen. Und sie hat noch hinzugefügt, dass sie sich keinen Zwang antun würde, zu sagen, was sie von mir hielte.«
Ein Amateur, den Lucie Barmont irgendwo in einem Winkel ihrer Galaxie ausgegraben hatte. Eine Person, die ihr nahe genug stand, um in letzter Minute um Hilfe gebeten zu werden.
Warum hatte sie nicht früher daran gedacht?
Julia verließ den Fotografen, ihre Gedanken überschlugen sich. Die Entfernung, die sie von dem Mörder trennte, war wieder ein Stück kleiner geworden.
46
»Hast du was zum Schreiben?«
»Sekunde.«
François sah eine geöffnete Terrasse auf der anderen Seite des Platzes. Er umrundete die Fontaine des Innocents und ließ sich auf einen leeren Stuhl fallen.
»Jetzt.«
»Dreizehnter Januar. L’Arrêt, zwölf, Allée Albert-Camus in Avignon.«
Élodies hohe Stimme hätte Glas zum Zerspringen bringen können. Die Spezialistin für die Telefonverbindungen hatte ihren Beruf verfehlt. Mit ihrem Talent hätte sie sich dem lyrischen Fach widmen sollen.
»Und danach?«
»Vierzehnter Januar. Le Clou, achtundneunzig, Boulevard Jean-Pain in Grenoble.«
Der Profiler schrieb alles mit. Seine von der Kälte klammen Finger brachten unentzifferbare Kritzeleien zu Papier.
»Und der Letzte?«
»Fünfzehnter Januar. Le Café de France, acht, Rue de la Font-Pinot in Limoges.«
François
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