Wer Boeses saet
noch ein Mann, mit seinem Päckchen an Widersprüchen, seinen Schwächen und Charakterfehlern.
Wie würde sie Julia erleben? Als einen weiteren Verrat? Als würde man sie wieder verlassen?
Er sah zu der jungen Frau hinüber. Im bläulichen Licht des Armaturenbretts zeichnete sich ihr Profil ab. Zart, stark wie ein Versprechen, wie eine Hoffnung. Was wird danach geschehen? Wenn alles vorbei war?
In seiner Tasche vibrierte es. François schnappte sich sein Handy. Hénon.
»Ja, Roger.«
»Wo bist du gerade?«
»Auf der Autobahn. Nicht weit von Grenoble.«
»Solltest du nicht nach Avignon fahren?«
»Da komme ich gerade her.«
»Hast du den Jungen befragt?«
»Einen Anfang habe ich schon gemacht …«
»Was soll das heißen, einen Anfang?«
»Er ist abgehauen.«
Stille. Dann Hénons Stimme wie aus der Gruft.
»Hat er auch was mit der Sache zu tun?«
»Ich weiß nicht. Das versuchen wir ja herauszufinden.«
Wieder Stille. Das Geräusch eines Feuerzeugs. Der Polizeidirektor zündete sich offenbar gerade eine Zigarette an.
»Meinst du, du findest ihn in Grenoble?«
»Nein. Ich bin mit Julia Drouot hier. Sie ist auf ein weiteres heikles Thema aufmerksam geworden.«
»Jetzt sag bloß nicht, dass du dich immer noch mit dieser Ermittlungsbeamtin herumtreibst!?«
François ging nicht darauf ein.
»Das zweite Opfer hat vielleicht Kontakt zu einem Kreis von Satanisten gehabt. Wir werden …«
»Vielleicht?«, unterbrach ihn der Polizeidirektor schroff. »Glaubst du, wir hätten die Zeit und die Mittel für diese Art von Strategie?«
Der gestresste Hénon ließ seinen Ärger an ihm aus. Als ehemaliger Psychoanalytiker konnte er den Mechanismus verstehen. Bloß fehlte ihm die Kraft, einfach darüber hinwegzugehen. Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen:
»Ich tu, was ich kann. Mit den Mitteln, die ich habe.«
Hénon spürte, dass er zu weit gegangen war, und wechselte das Thema.
»Ich brauche dich. Morgen früh vernehmen wir Hugo Crémant.«
»Hugo? Den kleinen Bruder von Justine?«
»Seine Eltern haben ihm alles erklärt.«
»Er ist fünf Jahre alt und hat zur Tatzeit geschlafen. Was erwartest du?«
»Wir werden sehen.«
»Und meine Fährte?«
»Um die kümmert sich deine Freundin. Die ist doch schon ein großes Mädchen, oder?«
Er wurde ironisch. Hénon ahnte wahrscheinlich, dass sich da etwas anbahnte, und billigte es ganz und gar nicht.
»Ich muss jetzt los«, sagte der Polizeidirektor abschließend. »Sei bitte um halb neun da.«
François schluckte seinen Ärger hinunter. Neun Uhr. Da hatte er gerade noch Zeit genug, ein Flugzeug zu nehmen.
»Probleme?«, fragte Julia.
»Ein neuer Zeuge im Mordfall Bagnolet. Hénon möchte, dass ich an der Befragung teilnehme.«
»Daraus schließe ich, dass ich dich zum Flughafen bringen soll, ich …«
Ein kurzes Schweigen, dann fügte Julia hinzu:
»Also wirklich! So langsam glaube ich, du gehst mir aus dem Weg.«
»Hör doch auf, du weißt genau, dass ich …«
»Hey, das war nur ein Scherz …«
Ein Seufzer. François war müde und angespannt. Für einen kurzen Moment dachte er an eine rosa Pille. Und widerstand.
»Und ich?«, fragte sie. »Was steht auf meinem Programm?«
»Du machst weiter.«
»Und was soll ich Kellermann sagen?«
»Nichts. Ich sage ihm Bescheid.«
Der Profiler telefonierte.
»Guten Abend. Noch einmal Marchand.«
»Sind Sie schon angekommen?
»Programmänderung. Ich kann nicht kommen. Leutnant Drouot wird mich ersetzen.«
»Nichts Schwieriges, hoffe ich.«
»Ein Notfall. Ich rufe Sie wieder an, sobald ich kann.«
François wollte das Handy gerade zuklappen, als Kellermanns Stimme ihn im letzten Moment zurückhielt.
»Ich habe die Ergebnisse vom zentralen Nachrichtendienst erhalten. Soll ich das erst mit Ihnen besprechen, oder gebe ich sie gleich an Drouot weiter?«
»Schießen Sie los.«
»Es gibt da so eine richtige kleine Gemeinschaft, die dem Satanismus nicht abgeneigt ist. Nicht sehr gefährlich, wenn ich das recht verstanden habe.«
»Haben Sie die Namen?«
»Namen, Adressen … Und sogar den Namen der Diskothek, in der sie sich treffen.«
Der Kommissar kramte in seiner Tasche nach einem Füller.
»Ich notiere.«
Betretenes Schweigen.
»Was ist los?«, fragte François.
»Die Akte ist im Kommissariat. Es ist spät … Ich bin schon nach Hause gegangen.«
Wieder ein Blick auf die Uhr – neun Uhr fünfzehn. Normale Leute saßen jetzt beim Abendessen.
»Entschuldigen Sie, darauf habe ich gar
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