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Wer Boeses saet

Wer Boeses saet

Titel: Wer Boeses saet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Descosse
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fangen wir an?«
    Julia sah ihm in die Augen. Die letzten Stunden hatten ihr Selbstvertrauen gegeben. Sie war schön, mit ihren zerzausten Haaren und dem kantigen Gesicht.
    »Das Schlafzimmer«, antwortete der Kommissar. »Um den Computer kümmern wir uns später.«
    Sie machten sich an die Arbeit. Da sie nicht wussten, wonach sie suchen sollten, gingen sie systematisch vor. Julia nahm die Schränke in Angriff, während François sich den Schreibtisch vornahm. Ohne jede Ordnung lagen Schulhefte, Schulbücher und Fotozeitschriften aufeinandergestapelt. Der Polizist blätterte den Terminkalender des jungen Mannes durch, ohne etwas zu finden.
    Julia schien es nicht besser zu ergehen. Sie öffnete die Hängeschränke, erforschte jeden Winkel, klopfte die Wände ab. Dann sah sie unterm Bett nach, hob die Matratze hoch, untersuchte den Lattenrost. Ebenso ergebnislos. In weniger als einer Viertelstunde hatten sie alle potenziellen Verstecke überprüft.
    Dem Polizisten kamen Zweifel. Und wenn sie auf dem Holzweg waren? Wenn Maxime sich nichts vorzuwerfen hatte?
    »Er macht uns die Dinge nicht leichter«, bemerkte Julia.
    »Das hier ist nicht gerade der Knüller.«
    »Schaust du dir mal den Computer an, oder soll ich das machen?«
    François saß bereits vor dem Bildschirm. Er konnte es kaum erwarten, der Sache auf den Grund zu gehen.
    »Ich kümmere mich darum.«
    Kein Passwort. Eine merkwürdige Startseite. Eine Figur aus einem Japan-Comic nahm den ganzen Raum ein, ein junges Mädchen mit Rehaugen in einer Kombi aus Metall. In der Hand hielt sie einen Menschenkopf, aus dem das Blut in Strömen floss. Nichts in ihrem Blick ließ erkennen, wie grausam diese Situation war. Er wirkte neutral, leer, gleichgültig. Nur die Legende sprach eine deutlichere Sprache. In roten, schleimigen Lettern, die provozierend aufblinkten: FUCK .
    »Netter Appetithappen«, sagte die junge Frau ironisch.
    François verscheuchte das Unbehagen, das ihn überkam, und sah sich die Festplatte an. Viele Fotos. Ganze Alben, nach Themen geordnet: Autos, Motorräder, Monumente … Wofür ein stinknormaler Jugendlicher sich eben so begeisterte. Auffällig war allerdings, dass es keinerlei Aufnahmen von Lebewesen gab. Keine Tiere, keine Menschen. Maxime schien sich nur für Stillleben zu begeistern.
    Dann, nach einer ganzen Reihe griechischer Statuen, plötzlich etwas anders. Das Bild, das François betrachtete, hatte mit den vorangegangenen nichts gemein. Ähnlich wie in dem Spiel: »Was passt hier nicht dazu?« Auf dem Foto war eine vollkommen nackte, an ein Kreuz gebundene Frau zu sehen. Sie hatte grässliche Schnitte in Schenkeln, Armen und Oberkörper. An manchen Stellen war das Fleisch tief herausgeschnitten worden, wodurch dunkle Aureolen um gelbliche Löcher geschaffen wurden. Daneben stand, damit einem auch nichts von dem Schauspiel entging, ein als mittelalterlicher Henker verkleideter Mann. In seiner Hand hielt er eine riesige Zange, mit der er eine Brust abriss.
    Etliche Sekunden fühlte sich der Polizist außerstande, den Blick abzuwenden. Auch Julia starrte völlig entsetzt auf den Bildschirm. Was sie da sahen, hatte etwas Irreales. War wie die Trickaufnahme in einem Horrorfilm.
    Er klickte die nächsten Fotos an. Geleckte Bilder, fast schon Postkartenmotive: der Wagenlenker von Delphi, die Aphrodite von Praxiteles, die Nike von Samothrake …
    Dann wieder das Unsagbare. Diesmal ein Mann mit halb durchschnittener Kehle, der versuchte, das Blut zurückzuhalten, das ihm pulsierend aus dem Hals schoss. Der Kopf war leicht nach hinten geneigt und gab den Blick auf einen tiefen Schnitt frei.
    Der Profiler klammerte sich an die Tastatur. Weitere Fotos folgten, ein Wechsel von heiß nach kalt, von der Normalität zum Wahnsinn. Als er die Maus wieder aufs Pad legte, bemerkte er, dass seine Hand zitterte.
    »Bist du jetzt überzeugt?«
    Julia hatte die Frage mit tonloser Stimme gestellt. François antwortete nicht sofort. Nach dem Schock fühlte er sich völlig kraftlos. Dann kam allmählich wieder Ordnung in seine Gedanken.
    »Es ist nicht sicher, dass das echt ist.«
    »Was macht das für einen Unterschied? Man muss völlig verrückt sein, um solche Horrorbilder zu sammeln.«
    Der Profiler hatte nur halb zugehört. Alles in ihm sträubte sich dagegen, suchte nach einer vernünftigen Erklärung. Maxime hatte morbide Neigungen. Kein Zweifel. Hatte er einen Deal mit dem Killer gemacht? Hatte er Fotos von der Szene geschossen, während der andere sich

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