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Wer Boeses saet

Wer Boeses saet

Titel: Wer Boeses saet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Descosse
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Zusammenhang habe ich selbst hergestellt, als ich sein Foto in der Zeitung sah.«
    »Dann beschreiben Sie mir seinen Mentor.«
    Bafamal seufzte.
    »Jung. Nicht älter als zwanzig. Ziemlich groß. Dunkelhaarig. Immer schlecht rasiert. Eher gut aussehend, so der Verführertyp.«
    Die Beschreibung kam ihr vertraut vor. Vorerst war das nur ein vages Gefühl.
    »Versuchen Sie, ihn ein wenig genauer zu beschreiben. Hatte er Tätowierungen? Trug er einen Ring? Eine Kette?«
    »Nein. Nichts von alledem. Er war eher so der Typ Luxusboy. Lederjacke und Jeans. Aber Markenjeans.«
    »Welche Marke?«
    »Keine Ahnung. Vorn war ein Logo drauf. Ein Totenkopf mit Flügeln.«
    Eine Perfekto.
    Das Zeichen der Hell’s Angels.
    Sofort schoss ihr der Vorname in den Kopf, als hätte sie eine Ohrfeige bekommen.
    Rémi.
    Pierres Beschützer war kein anderer gewesen als Rémi Cazenove, der reiche Schönling, dem der junge Katholik abends Nachhilfe in Russisch gegeben hatte.
    Er hatte behauptet, ihn nie außerhalb des Gymnasiums getroffen zu haben.
    Eine Lüge, und zwar eine schwerwiegende.
    54
    Marchand betrachtete das Kind durch einen Einwegspiegel. Es hatte einen zauberhaften dunklen Lockenkopf, trug eine winzige Jeans und einen Pulli aus weißer Wolle. Es schien nicht zu bemerken, was rings um es her geschah. Seine Aufmerksamkeit war auf einen Berg bunter Bauklötzchen gerichtet, die es mit konzentrierter Miene aufeinanderstapelte.
    Der Vernehmungsraum der Kripo war für diesen besonderen Zweck umgestaltet worden. Der schwarze Tisch war verschwunden, ebenso die harten Stühle und die Polizeiposter. Stattdessen gab es einen Teppich mit Mickey-Mouse-Motiven, eine Spielzeugkiste und eine ganze Reihe von Malutensilien.
    Der Profiler warf Hénon einen düsteren Blick zu. Er befürwortete diese Initiative nicht. Zumal er sich nicht qualifiziert genug fühlte, seine Sache wirklich gut zu machen. Natürlich war er Psychoanalytiker. Aber für die Arbeit mit Kindern brauchte man besondere Kompetenzen und Erfahrung. Und was auch immer sein Vorgesetzter denken mochte, er besaß weder das eine noch das andere. Für ihn war die Vernehmung von Hugo Crémant reine Zeitverschwendung. Es bestand lediglich die Gefahr, den Jungen noch ein wenig mehr zu traumatisieren.
    Er drehte sich zu den Eltern um.
    »Machen Sie sich keine Sorgen. Es wird alles gut gehen.«
    Michel und Florence Crémant nickten. Wenigstens war es François gelungen, ihr Vertrauen zu gewinnen. Bei ihrer derzeitigen Verfassung war das schon eine ganze Menge.
    Er öffnete die Tür und trat ein.
    »Guten Tag, Hugo.«
    Der Junge war ganz in seine Tätigkeit versunken und antwortete nicht. François ging zu ihm hin. Er setzte sich im Schneidersitz ihm gegenüber und sah ihm beim Spielen zu. Die kleinen Hände stapelten Bauklötzchen, mit präzisen, bedächtigen Bewegungen, als handelte es sich um die wichtigste Sache der Welt. Als das Bauwerk eine beachtliche Größe erreicht hatte, zerstörte er es mit einem Schlag. Mit kritischem Blick musterte er sein Zerstörungswerk, dann machte er sich wieder an die Arbeit.
    Marchand wartete. Hugo sollte sich erst an ihn gewöhnen. Dann fing er ein Gespräch an.
    »Ich heiße François. Was machst du denn da?«
    Immer noch keine Antwort.
    »Das sieht gut aus«, fuhr der Polizist fort. »Kann ich mit dir spielen?«
    Ohne sein Spiel zu unterbrechen, nickte der Junge.
    »Gut …«
    Der Profiler nahm einen Bauklotz und setzte ihn auf die anderen. Dann nahm er noch einen und setzte, immer abwechselnd mit dem Kind, Bauklötzchen auf Bauklötzchen. Über eine Minute lang arbeiteten sie schweigend. Dann, in dem Moment, als François am wenigsten darauf gefasst war, fragte Hugo:
    »Wo ist Mama?«
    »Nebenan.«
    »Wo nebenan?«
    »Hinter der Fensterscheibe.«
    »Das ist keine Fensterscheibe, das ist ein Spiegel.«
    »Du hast recht. Das ist ein Spiegel. Aber man kann trotzdem durchschauen.«
    Die Antwort schien ihm gut zu gefallen. Er ließ von den Klötzchen ab und schnappte sich eine Plastikpistole. Er richtete sie auf François und kniff die Augen zusammen, als wolle er schießen.
    Der Polizist tat so, als habe er Angst.
    »Willst du mich töten?«
    »Das ist doch nur zum Spaß. Ich kenne dich ja gar nicht.«
    »Na und? Würdest du mich denn töten, wenn du mich kennen würdest?«
    Der Junge zögerte. Er legte die Spielzeugwaffe wieder hin, fand einen Plastikdinosaurier und spielte damit weiter.
    François nahm sich noch ein wenig Zeit, Hugo zu beobachten. Er war

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