Wer Boeses saet
schwere Last auf seinen Schultern. Rein intuitiv fragte sie:
»Wer ist Luise?«
Das alabasterfarbene Gesicht wirkte plötzlich verschlossen, ja sogar feindlich.
»Das geht Sie nichts an.«
»Sie kennen sie, nicht wahr? Haben Sie sich deshalb dieses Grab ausgesucht? Ist das auch der Grund, warum Sie jede Nacht hier verbringen?«
»Fragen Sie nicht weiter. Sie werden es doch nicht verstehen.«
Das war auch gar nicht mehr nötig. Bafamals erstickte Stimme lieferte der Ermittlungsbeamtin gleich mehrere Hinweise. Das junge Mädchen, das in der Figur der liegenden Toten dargestellt war, bedeutete ihm sehr viel. War es die Ehefrau? Die Schwester? Egal. Durch ihren Tod hatte er den Verstand verloren. Er hatte sich mit ihr in dieser Gruft eingesperrt, feierte Satansmessen, um seine Wut zu besänftigen. Cleyel … Wahrscheinlich war das der Name einer Familie, die wohlhabend genug war, sich die Konzession für ein Luxusgrab zu kaufen, in dem er in aller Seelenruhe seinen Tempel errichten konnte.
Julia wusste auch, dass sie hier nicht den Killer vor sich hatte. Nur einen gebrochenen Mann, der vor Trauer und Schmerz den Verstand verloren hatte und dessen größtes Verbrechen es gewesen war, beeinflussbare junge Menschen mit seinem Wahn angesteckt zu haben. Sie ließ ein paar Sekunden verstreichen, bevor sie fortfuhr:
»Lassen Sie uns über Pierre reden. Sie wussten, dass er praktizierender Katholik ist?«
»Das hat er mir gesagt.«
»Und es hat Sie nicht gestört?«
Er lächelte.
»Satan war Gottes Lieblingsengel.«
»Ein gefallener, verdorbener Engel.«
Er blickte sie fest an.
»Woher nehmen Sie Ihre Gewissheiten? Wissen Sie denn so genau, was Verderbnis ist?«
Julia fühlte sich wie auf der Anklagebank. Ohne es zu wollen, begann sie sich zu rechtfertigen.
»Ich begegne ihr tagtäglich. Zumindest kann ich sie wiedererkennen.«
»Sie sehen nur den Schaum der Dinge. Die Verderbnis ist das erste Stadium der Evolution. Sie ist nur eine Übergangsphase, die der Wiedergeburt vorausgeht. Das Fleisch verfault, bevor es zu Staub wird und die Natur ernährt. Das ist der Kern unseres Glaubens.«
Die Begriffe ließen die Ermittlungsbeamtin zusammenzucken. Wiedergeburt. Verwandlung. Natur. Ein solches Triptychon hatte François ihr auch bei seiner Deutung der Symbolik dieser Verbrechen gezeichnet. Er hatte sie mit der Wiedergeburt in Verbindung gebracht, einem heidnischen Ritus, auf den sich auch der Satanismus bezog.
In diese Richtung musste sie weiterbohren.
»Erklären Sie mir das ein wenig. Wie geht so eine Initiation vor sich?«
»Das geht Sie gar nichts an.«
»Werden da Dinge entweiht? Opfer gebracht? Vergewaltigungen vollzogen? Erzählen Sie’s mir. Ich hab schon so manches gesehen.«
Der Vampir hielt den Kopf gesenkt. Er hatte sich vollkommen zurückgezogen. Julia umkreiste ihn, die Waffe in der Hand. Plötzlich sah sie das Bild des Erzengels Gabriel vor sich, der sich anschickt, den Dämon niederzustrecken. Dann stellte sie sich wieder vor ihn.
»Na schön … Ich kann Sie nicht zwingen. Dafür werden Sie mir jetzt verraten, wie Pierre mit Ihnen in Kontakt getreten ist. Ich nehme an, er ist nicht hergekommen, weil er hier zufällig Licht gesehen hat …«
»Warum sollte ich das tun?«
»Weil ich Sie sonst mitnehmen werde.«
»Diese Gruft gehört mir. Hier mache ich, was mir gefällt.«
Auf dieses Argument war die Polizistin gefasst.
»Nicht ganz. Ihre kleinen Rituale sind nicht sauber. Sie könnten einen Untersuchungsrichter interessieren.«
Der Mann lachte.
»Der hat mich schon vorgeladen. Und ich habe hervorragende Anwälte.«
»Denen dürfte es schwerfallen, Sie vor einer Untersuchungshaft wegen Unterschlagung von Beweismitteln im Zusammenhang mit einem Verbrechen zu bewahren.«
Bafamal fiel ein wenig in sich zusammen. Und Julia versetzte ihm den Todesstoß.
»Mit ein wenig gutem Willen könnte man Ihnen auch Beihilfe zum Mord anhängen. Und dann wäre das eine Sache fürs Schwurgericht. Mit anderen Worten: Dann wird Russisches Roulette gespielt.«
»Sie bluffen.«
»Wollen wir wetten?«
Ein Blickduell. Wie zwei Spieler am Pokertisch. Am Ende gab der Vampir auf.
»Er ist vor zwei Monaten gekommen. Einer unserer Adepten hatte ihn mir vorgestellt.«
»Sein Name?«
»Mabakiel.«
»Sein echter Name!«
»Den hat er mir nie genannt.«
»Ach was!«
»Das ist nicht gelogen. Unsere Regeln erlauben es uns, die Anonymität zu wahren.«
»Aber den Namen von Pierre Jacquet kannten Sie.«
»Den
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