Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer Boeses saet

Wer Boeses saet

Titel: Wer Boeses saet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Descosse
Vom Netzwerk:
entspannt, vertraute ihm. Die erste Phase lief ganz gut. Schließlich beugte der Profiler sich vor und fragte mit sanfter Stimme:
    »Ich würde gerne über das sprechen, was in eurem Haus passiert ist. Bist du einverstanden?«
    Hugos Miene verdüsterte sich.
    »Wenn du magst …«
    »Deine Mama ist stolz auf dich, weißt du? Du bist offenbar ganz schön mutig gewesen.«
    Keine Reaktion. Dann fragte der Junge:
    »Sag mal, stimmt es, dass Justine tot ist?«
    »François’ Herz krampfte sich zusammen.
    »Ja. Das stimmt.«
    »Ist sie im Himmel?«
    »Gewissermaßen.«
    »Was heißt das: gewissermaßen?«
    Da hatte er den Profiler kalt erwischt. Trotz aller Bemühungen fiel ihm eine Antwort sehr schwer. Aufs Geratewohl bastelte er eine Antwort zusammen.
    »Das soll ›ja‹ heißen. Ich bin sicher, dass sie an dich denkt.«
    Hugo lächelte beruhigt. François nutzte die Gelegenheit, um die Sache noch einmal anders anzugehen.
    »Wie läuft das so, wenn Justine auf dich aufpasst?«
    »Na ja … Ich geh ins Bett.«
    »Bringt sie dich ins Bett?«
    »Nein. Das macht Mama.«
    »Dein Zimmer ist oben, nicht wahr?«
    »Ja.«
    »Kommt Justine dann noch einmal, um nach dir zu sehen?«
    »Warum?«
    »Um zu wissen, ob du gut schläfst.«
    »Weiß ich nicht, dann schlafe ich doch.«
    François lächelte.
    »Und an dem Abend, als sie in den Himmel gekommen ist, hast du da auch geschlafen?«
    »Ja.«
    »Hast du nichts gehört?«
    Hugo wirkte plötzlich abwesend. Er legte den Dinosaurier hin, schnappte sich die Farbstifte und begann zu zeichnen.
    Bei François klingelten alle Alarmglocken. Wenn jemand schwieg, verbargen sich manchmal Abgründe dahinter. Er ließ nicht locker.
    »Ist etwas passiert?«
    »Ich hatte einen Albtraum.«
    »Willst du ihn mir erzählen?«
    »Dann kriege ich Angst.«
    »Du brauchst keine Angst mehr zu haben. Ich bin doch da.«
    Das Kind zeichnete weiter. Schwarze Blitze, rote Streifen. Nichts Gegenständliches.
    »Da war ein Monster.«
    »Ein Monster?«
    »Ja. Es wollte mich töten.«
    »Was hast du dann gemacht?«
    »Ich habe mich unter der Decke versteckt.«
    »Und dann?«
    »Es wollte mich trotzdem holen. Es hatte ein großes Messer. Mit viel Blut dran.«
    Die Tatwaffe. Oder zumindest die Waffe, die der Kläger benutzt hatte, bevor er beschloss, Justine durch Schläge mit dem Schürhaken zu massakrieren. François sprach weiter, ohne eine Regung erkennen zu lassen.
    »Was ist denn geschehen?«
    »Er hat mich angesehen.«
    »Ist das alles?«
    »Danach bin ich aufgewacht.«
    »Und da bist du dann runtergegangen.«
    »Ja …«
    Der Profiler nickte. Hugos Traum stimmte unmittelbar mit dem Ablauf des Mordes überein. Folglich war es recht wahrscheinlich, dass er den Mörder gesehen hatte. Seine Psyche hatte lediglich die Realität manipuliert, um sie erträglich zu machen. In der Vorstellung dieses Fünfjährigen konnte das, was er erlebt hatte, nur ein Albtraum gewesen sein.
    »Wie sah es aus, dieses Monster?«
    »Wie ein Menschenfresser.«
    »Hast du schon Menschenfresser gesehen?«
    »Ja.«
    »Wo denn?«
    »In meinen Büchern. Da gibt es Bilder.«
    François versucht es anders.
    »War er groß oder klein?«
    Hugo sah von seiner Zeichnung auf.
    »Bist du blöd oder was? Menschenfresser sind immer groß!«
    »Stimmt. Entschuldige, hatte ich vergessen …«
    Das Kind zuckte die Schultern.
    »Der war in Plastik eingepackt.«
    »In Plastik?«
    »Ja. Wie das Papier, in das man den Müll reintut. Er sah aus wie ein ›Kosmogaut‹.«
    François übersetzte für sich, was er da gerade gehört hatte. Ein steriler Anzug wie in der Medizin, in der Bakteriologie. Das erklärte, warum man am Tatort keinerlei DNS -Spuren gefunden hatte.
    »Außerdem hatte er schwarze Haare«, fuhr Hugo fort. »Aber das waren keine echten Haare.«
    Der Profiler runzelte die Brauen.
    »Woher weißt du das?«
    »Die waren angeklebt.«
    »An den Kopf?«
    »Nein. An die Maske.«
    Hatte das Kind sich das eingebildet, oder war es eine neue Spur? François fragte genauer nach.
    »Und bist du dir sicher, dass es eine Maske war?«
    »Ja klar. Ich bin doch nicht blöd.«
    Jetzt brauchten sie nicht mehr zu hoffen, sie könnten den Mörder identifizieren, sondern nur noch herausfinden, wie das Latexgesicht genau aussah.
    »Kannst du ihn mir beschreiben?«
    Hugo zeichnete weiter.
    »Sie war ganz weiß. Sie sah nicht sehr zufrieden aus. Und der Mund, der war ganz dünn.«
    Das Kind hatte angefangen, die Umrisse eines Gesichts zu zeichnen. Eine Skizze, sehr

Weitere Kostenlose Bücher