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Wer Boeses saet

Wer Boeses saet

Titel: Wer Boeses saet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Descosse
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Dauert nur eine Minute.«
    Die Mutter zögerte. Dann trug die Macht des Amtes den Sieg davon, wie meistens.
    »Ist in Ordnung. Ich zeige es Ihnen.«
    Sie gingen durch einen Gang, der von Halogenlampen erleuchtet wurde, die man in eine abgehängte Decke eingelassen hatte. Auf beiden Seiten Türen. Sie waren geschlossen, mit Ausnahme von einer. Julia sah einen großen, hellen, mit Wandtäfelungen verkleideten Raum. An den Wänden waren Holzplatten angebracht, an denen bunte Zeichnungen hingen. Eine aufgebockte Arbeitsplatte nahm die Hälfte des Raums ein. Auf ihr stapelten sich Stoffe wie in den Regalen eines Altkleiderhändlers.
    »In welcher Branche arbeiten Sie?«, fragte Julia, nur um etwas zu sagen.
    »In der Modebranche. Ich bin Modedesignerin.«
    Die Polizistin antwortete nichts darauf. In ihren abgewetzten Jeans, ihren Sportschuhen und dem Bergwanderer-Anorak war sie geradezu die Antithese dieser Modewelt.
    Eine Biegung. Noch eine Tür.
    Tapetenwechsel.
    Ein großer, komplett schwarz gestrichener Raum. Die Jalousien waren geschlossen, die Vorhänge zugezogen, es herrschte eine Stimmung wie bei einer Totenwache. Das Licht kam aus blutroten Glühbirnen, die wie reife Äpfel an einem Plastikbaum hingen. Sie warfen ihr Licht auf erschreckende Poster, gruselige Zeichnungen, die einem kranken Hirn entsprungen schienen: helmbewehrte Totenköpfe, eine Allegorie der Hölle, eine Kreatur mit dem Kopf eines Ziegenbocks, eine Kreuzigung …
    Rémi hatte voll zugeschlagen. Seine Mutter ließ ihn machen, wahrscheinlich, weil sie niemanden hatte außer ihm. Der kleine Dreckskerl nutzte das aus.
    »Das geht wieder vorüber«, bemerkte sie peinlich berührt.
    Sie ging zum Fenster, dann hörte man das typische Geräusch elektrischer Jalousien. Allmählich drang Tageslicht in die Krypta.
    »So ist es besser, nicht wahr?«
    Julia nickte. Ohne die künstliche Beleuchtung hatte die Einrichtung keine so intensive Wirkung mehr. Zusammengeknüllte Laken, herumliegende Kleider, stapelweise Comics in der Ecke. Es gab keinen Schreibtisch. Kein Buch. Nur einen Plasmabildschirm und einen DVD -Player, der neben einem winzigen Laptop, einem topaktuellen Modell von Sony, direkt auf dem Boden stand.
    Das war das einzige Objekt, das die Ermittlungsbeamtin interessierte.
    Sie sah sich erst einmal alles genau an, um das Misstrauen der Modedesignerin zu zerstreuen. Sie schaute unters Bett, als vermute sie dort jemanden. Dann öffnete sie die Schränke, in denen in Reih und Glied eine beeindruckende Sammlung von Stiefeln stand: Santiagos, Texas-Stiefel, Ranger – für jeden Geschmack war etwas dabei. Sie inspizierte noch das Badezimmer nebenan, bevor sie ins Zimmer zurückkehrte.
    Schließlich holte sie das Handy aus der Tasche und tat so, als habe sie einen Anruf bekommen. Sprach zwei einsilbige Sätze und wandte sich an die Frau.
    »Könnten Sie mich wohl einen Moment allein lassen?«
    Françoise Cazenove verließ das Zimmer. Sobald Julia allein war, stöpselte sie den Laptop aus. Sie öffnete ihren Gürtel und steckte ihn ein Stück weit in ihre Jeans. Nachdem sie den Gürtel wieder fest zugeschnallt hatte, machte sie ihren Anorak zu.
    Sie ließ noch ein paar Sekunden verstreichen und verließ dann das Zimmer. Die Modedesignerin wartete im Gang, eine Zigarette rauchend.
    »Alles in Ordnung«, sagte Julia. »Ich gehe jetzt wieder.«
    »Ich werde Rémi sagen, dass er bei Ihnen vorbeischauen soll.«
    »Das wird nicht nötig sein. Wir werden ihn sicher vorher treffen.«
    Und schon war Julia aus dem Haus.
    Kaum saß sie im Auto, holte sie den Sony aus seinem Versteck und schaltete ihn ein. Es erschien eine Aufforderung, das Passwort einzugeben. Wütend schlug sie mit der Faust aufs Steuer. Was nun? Es würde viel zu viel Zeit in Anspruch nehmen, jetzt noch das Passwort zu knacken. Falls es ihr überhaupt gelingen würde. Sie klappte die Kiste wieder zu und sah auf ihre Uhr – zehn Uhr fünfzehn. François dürfte jetzt mit der Vernehmung des kleinen Hugo fertig sein. Sie rief ihn an.
    »Ich bin’s, kann ich dich sprechen?«
    »Schieß los. Ich bin in meinem Büro.«
    Er klang distanziert, fast schon ein wenig brüsk. Julia konnte sich gut vorstellen, welche Spannung in der Zentrale herrschte, und ging darüber hinweg.
    »Du hattest recht mit den Treibern. Ich komme gerade von Rémi Cazenove. Er hat Pierre zur Fabrik gefahren.«
    »Bist du sicher?«
    »Ganz sicher. Er hat ihm in den leuchtendsten Farben versprochen, man werde ihn nach einer

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