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Wer Boeses saet

Wer Boeses saet

Titel: Wer Boeses saet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Descosse
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in diese Richtung zu drängen.
    »Es war eine Frau, nicht wahr?«
    »Weder ein Mann noch eine Frau. Es war die Bestie mit den tausend Gesichtern.«
    Seine Worte verloren sich in den Mäandern des Wahnsinns. François versuchte ein letztes Mal, den Schizophrenen in die richtigen Bahnen zu lenken.
    »Ich bitte Sie. Versuchen Sie, sich zu konzentrieren. Es gab dort zwei ›Wesenheiten‹ an jenem Abend. Den … Teufel, und einen Engel. Für mich wäre es wichtig, dass Sie sich an diesen Engel erinnern, dass Sie ihn mir beschreiben.«
    Der Psychotiker runzelte die Brauen, als komme dieses Ansinnen ihm absurd vor. Dann sagte er in einem Atemzug:
    »Da sehen Sie es … Er hat auch Sie genarrt.«
    »Von wem sprechen Sie?«
    »Vom Antichristen. Er war allein.«
    »Wie bitte?«
    »Der Engel … Das war ER !«
    59
    Natascha.
    Ein Vorname, der zu einer Tänzerin des Russischen Balletts passen würde.
    Der einer slawischen Schönheit, mysteriös wie der Name einer Porzellanpuppe. François stellte sich vor, wie sie lächelte, strohblonde Haare unter einer Pelzmütze, mit einer gewissen Unterwürfigkeit im Blick. Der Name klang wie ein Ideal an Reinheit und Frische, wie eine durch den Frost geschützte Baumwollsteppe.
    Er krampfte die Hände ums Steuer.
    Natascha. Eine Mörderin. Kalt, organisiert, durchgeknallt. Eine Täterin, der drei, vielleicht sogar vier barbarische Morde zur Last gelegt werden konnten, deren Wahnsinn jedes Verständnis überstieg. Obwohl der Penner nur surreale Sätze von sich gegeben hatte, hatte der Profiler sich die Sache zusammenreimen können.
    Er legte den ersten Gang ein und fuhr einen Meter weiter. Laut der Schilder über dem Périphérique kam in fünfundvierzig Minuten die Ausfahrt Porte Maillot. Somit hatte er noch Zeit, alles erneut einer genauen Prüfung zu unterziehen.
    Nachdem sie zunächst angenommen hatte, sie hätten es mit einem psychopathischen Einzeltäter zu tun, hatte François später an ein Paar gedacht. Dann hatte er mit jeder neuen Entdeckung sein Schema wieder ändern müssen. Jetzt war Natascha nur noch eine Komplizin unter anderen. Eine Treiberin wie Maxime und Rémi. Am Ende lösten sich alle seine Theorien in Rauch auf. So unglaublich es erscheinen mochte, er hatte gerade entdeckt, dass Natascha selbst die Mörderin war.
    Diesen Achsensprung zu akzeptieren fiel ihm sehr schwer. Es machte noch einmal die Anfälligkeit seiner Projektionen deutlich und wies ihn in seine Schranken.
    Eine Frau …
    Er hatte mit allem gerechnet, nur damit nicht.
    Zu seiner Entschuldigung könnte man anführen, dass man es bisher kaum mit solchen Profilen zu tun gehabt hatte. Solche Fälle waren selten. Außergewöhnlich. Statistisch gesehen machten sie nur zwei Prozent der erfassten Kriminalfälle aus. Wie war sie so weit gekommen? Was war geschehen?
    Mit einem Seufzer verscheuchte er diese Frage. Dazu war es noch zu früh. Es war besser, er konzentrierte sich auf die objektiven Tatsachen, die diese letzte Enthüllung ans Licht gebracht hatten.
    Zunächst die Prepaid-Karten. Die Theorie, dass der Mörder sich ihrer bediente, um mit Natascha zu kommunizieren, fiel in sich zusammen. Die Treiber selbst hatten sie gekauft. Wie gute kleine Soldaten informierten sie ihren Anführer darüber, wie weit der Plan gediehen war. Eine Anführerin, die aussah wie eine Priesterin, das Signal abwartete und sich dann nur noch im günstigen Augenblick an Ort und Stelle begeben musste. Außer in Bagnolet, bei Justine, denn da war sie bereits dagewesen.
    Der Anruf, den Lucie bekommen hatte, als Maxime mit ihr gerade das Shooting machte, folgte derselben Logik. Er wurde mit der Karte getätigt, die der angehende Fotograf in Avignon gekauft hatte. Das war eine zusätzliche Vorsichtsmaßnahme, die der Jugendliche getroffen hatte, ein Trick, mit dem man die Polizisten täuschen wollte, falls jemand kommen und ihn fragen sollte. Und das hätte fast geklappt.
    Dann die Annäherung an das letzte Opfer. Hier war es nicht notwendig gewesen, die Treiber einzusetzen. Natascha wusste, dass sie keinerlei Risiko einging. Wie hatte sie sich so sicher sein können?
    Der Kommissar rieb sich die Augen. Er wurde langsam müde, und all diese Überlegungen führten nirgendwohin. Er hatte damit lediglich ein wenig Ordnung in die vielen Details gebracht. Die einzige Frage, die jetzt von Bedeutung war, lautete: Wer ist Natascha?
    Hupen holte ihn in die Wirklichkeit zurück. Ein Blick in den Rückspiegel. Gerade mal einen Meter hinter ihm

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