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Wer Boeses saet

Wer Boeses saet

Titel: Wer Boeses saet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Descosse
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eingehüllt. Und trug eine verschlissene Skimütze auf dem Kopf.
    Der Profiler räusperte sich.
    »Monsieur Laugier?«
    Der Mann hob den Kopf. Knochiges Gesicht, schäbiger Bart, fahler Teint – ein Märtyrergesicht. Als François sah, welche Flamme in seinen Augen brannte, war ihm sofort klar, dass dieser Mann an einer Psychose litt: paranoide Schizophrenie mit mystischen Warnvorstellungen.
    Eine echte Zeitbombe.
    Aufgrund von Budgeteinsparungen hatten die Krankenhäuser die Anweisung bekommen, diese Art von Patienten nicht mehr aufzunehmen. Oder so wenig wie möglich. Man stabilisierte sie mit Antipsychotika, gab ihnen ein Rezept und zeigte ihnen, wo der Ausgang war.
    Dieser Mann hier hatte ganz offensichtlich seine Medikamente nicht eingenommen. Außerdem kam es, wenn ein Kranker gestresst war, besonders häufig zu akuten Wahnzuständen. Forestiers Methoden dürften hier nicht förderlich gewesen sein.
    Der Profiler zog sich einen Stuhl heran und setzte sich vor Laugier. Zunächst galt es, ihn zu beruhigen.
    »Ich heiße François Marchand. Ich weiß, dass Sie Angst haben, aber ich hätte gerne, dass Sie mir zuhören. Ich bin Ihr Freund. Ich bin nicht hier, um Ihnen Böses zu tun.«
    Der Mann reagierte nicht. Er sah den Polizeibeamten weiterhin mit seinen schwarzen Augen an, zwei kleinen Kugeln, mit denen er ihn anstarrte, als wolle er ihm den Schädel durchbohren.
    François bemerkte die noch versiegelte Mineralwasserflasche, die neben einem Plastikbecher auf dem Tisch stand.
    »Haben Sie Durst?«
    Immer noch keine Antwort.
    Der Profiler schraubte die Kappe ab, er schenkte einen Becher voll Wasser und schob ihn sanft dem Obdachlosen hin.
    »Sie sollten ein bisschen was trinken, sonst dehydrieren Sie.«
    Der Mann lachte kurz auf, ein nervöses Lachen. Ohne den Polizeibeamten aus den Augen zu lassen, murmelte er:
    »Und er nahm den Kelch, reichte ihn seinen Jüngern und sagte: ›Trinket alle daraus, denn das ist mein Blut.‹ Judas trank daraus. Dann verließ er das Abendmahl und verriet Jesus an die Römer.«
    »Ich will Sie nicht verraten. Ich möchte Ihnen helfen.«
    »Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott.«
    Er brach in ein irres Gelächter aus, bei dem er das Schwarz-Weiß-Muster seiner Zähne entblößte.
    François lächelte ebenfalls. Er hatte einen Kontakt hergestellt, aber jetzt musste er den Schizophrenen nach und nach wieder in die Wirklichkeit zurückholen.
    »Seit wann haben Sie Ihre Medikamente nicht mehr genommen?«
    »Welche Medikamente?«
    »Die, die man Ihnen verschrieben hat.«
    Der Mann krümmte sich heftig zusammen.
    »Die wollten mich vergiften.«
    »Wer wollte Sie vergiften?«
    »Die Römer.«
    »Sie meinen die Ärzte?«
    Er wirkte abwesend, als versuchten Bruchstücke seines Bewusstseins sich einen Weg durch den Schutthaufen seines Geistes zu bahnen.
    »Sie waren verkleidet … Aber ich habe sie wiedererkannt. Ich bin schlauer als sie. Ja, sogar viel schlauer …«
    Es war sinnlos, diesen Panzer durchdringen zu wollen. Laugier hatte den Punkt ohne Wiederkehr überschritten, die nächste Etappe wäre dann die Zwangseinweisung.
    François blieb keine Wahl. Er musste ihn wohl oder übel manipulieren.
    »Schlau, so so, also bösartig, so wie ›Der Böse‹?«
    Der Verrückte zuckte zusammen, das Wort hatte ihn ins Mark getroffen.
    »Nur der Herr ist mein Hirte.«
    »Sind Sie das Lamm Gottes?«
    »Ja, das Lamm Gottes …«
    »Das man zur Schlachtbank geführt hat? Wie das junge Mädchen, das Sie in jener Nacht haben sterben sehen?«
    Entsetzen stand im Blick des Verrückten zu lesen. François spürte, dass er genau ins Schwarze getroffen hatte.
    »Sie haben sie gesehen, nicht wahr?«
    Keine Antwort. Vor allem nicht lockerlassen. Um jeden Preis vermeiden, dass er wieder Angst bekam und sich zurückzog.
    »Erzählen Sie mir davon. Ich helfe Ihnen. Ich werde Sie vor dem Antichristen beschützen.«
    »Dazu ist es zu spät. Sein Reich kommt.«
    »Nein. Da kann man noch was machen. Sagen Sie mir nur, was geschehen ist.«
    Der Chlochard erstarrte, als habe sich ein übernatürliches Wesen seiner bemächtigt.
    »Das Tier kommt maskiert. Nichts kann es aufhalten. Diesmal hat es sich hinter einem Engel versteckt, um das Lamm zu opfern.«
    Natascha. Jetzt war höchste Vorsicht geboten.
    »Der Teufel verbarg sein Gesicht. Aber dieser Engel, wie sah der aus?«
    »Er hielt die Finsternis in der Hand.«
    Laugier sprach und rang die Hände. Die Angst verstärkte seinen Wahn. François versuchte, ihn weiter

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