Wer Boeses saet
Ende der Leitung.
»Scheiße … Du bist echt ein Depp …«
»Gib uns eine Chance. Wir stellen all das hintan, bis wir den Fall zu Ende gebracht haben. Danach sehen wir weiter ..«
»Ganz ehrlich, ich weiß nicht …«
»Dann warte es ab.«
Sie zögerte noch. Sekunden, die ihm wie Minuten vorkamen und in denen sich François auf das Schlimmste gefasst machte. Dann fiel das Urteil.
»Ich ruf dich wieder an.«
Er klappte, nicht besonders erleichtert, das Handy zu. Drei Kerle kamen aus der Brasserie, Zivilbeamte in Lederjacken, die er vom Sehen kannte. Sie winkten ihm flüchtig zu und gingen dann zu dem Dienstgebäude der Justizpolizei.
Wieder allein. Mit seinen Gespenstern als einziger Begleitung. Er kramte in der Tasche nach der Bonbonschachtel. Es waren noch zwei Tabletten übrig. Er schluckte sie.
Es fing wieder an zu regnen. Kalte Tropfen stachen ihm schmerzvoll in die Haut. Er schlug den Kragen seines Mantels hoch. Das düstere Dekor der Vorstadt umgab ihn, seelenlos und ohne Zukunft, in Beton gegossen.
Seine eigene Zukunft lag ihm plötzlich klar und deutlich vor Augen.
Düster. Deprimierend.
Er ging zu seinem Auto.
Er musste diese Geschichte zu Ende bringen. Und etwas anderes beginnen, bevor es zu spät war.
62
Évry.
Die Reißbrettstadt schlechthin.
Hässlich, zubetoniert, düster.
François sah sie schon von Weitem von der Autobahn aus wie ein Furunkel aus dem Nichts aufragen. Es regnete Bindfäden, und man hatte das Gefühl, in eine Stadt der Zukunft zu schauen. Eine beängstigende, verseuchte Zukunft, in der die Menschen sich zusammendrängten, eingepfercht in versiegelte Bunker.
Er nahm die Ausfahrt und tauchte in dieses Purgatorium ein. Eine Avenue reihte sich an die andere. In diese Ecke hatte es ihn noch nie verschlagen, daher folgte er gewissenhaft den Anweisungen seines Navi. Die elektronische Stimme ließ ihn auf eine Umgehungsstraße fahren, führte ihn zu dem Gelände vor dem Einkaufszentrum Évry 2 und sagte ihm dann nach einer langen, mit Werbetafeln gespickten Avenue, er solle rechts abbiegen.
»Sie haben Ihren Zielort erreicht.«
Er betrachtete das Gebäude. Eine Anzahl von Kuben, einer auf den anderen gestapelt, mit Lücken dazwischen, sodass man das Gefühl hatte, es handle sich um die Behausungen von Höhlenbewohnern. Es fanden sich die verschiedensten Farben, von Gänsekacke bis Türkisblau. Das Gebäude war architektonischer Horror. Das Leben in diesen Hundehütten dürfte einen auf die düstersten Gedanken bringen. Da erstaunte es nicht, dass sein Zeuge durchgedreht war.
Er parkte den Wagen, überprüfte seine Waffe und ging zum Eingang.
Der Vorplatz war leer und glänzte vom Regen. Zwei Skulpturen aus schwarzem Stein standen einander gegenüber, angedeutete menschliche Formen.
Die Tür zur Eingangshalle war unverschlossen. François inspizierte die Briefkästen und betete, dass das Vögelchen nicht ausgeflogen oder umgezogen war.
Théron. Dritter Stock.
Das Glück war ihm hold.
Den Aufzug mied er. Das war nicht der passende Moment, um steckenzubleiben. Das Treppenhaus war halbwegs sauber. Keine Graffiti, kein Uringestank und auch keine herausgedrehten Glühbirnen. Nur die Abnutzungserscheinungen eines Bauwerks von schlechter Qualität, das die Besitzer aus Mangel an Finanzmitteln nicht pflegen konnten.
Er fand den Namen, mit Buntstift auf ein Plastikviereck geschrieben. Durch die Tür drang das Geräusch eines Fernsehers. Wenn man sich ansah, was das für eine Panzertür war, so dürfte der Typ die Lautstärke voll aufgedreht haben.
François drückte auf die Klingel. Defekt. Er klopfte dreimal und wartete, ohne sich zu verstecken.
Der Fernseher wurde sofort leiser gedreht. Der Türspion wechselte seine Farbe. François hielt seinen Ausweis auf die Glaskugel und verkündete mit ruhiger Stimme:
»Polizei! Aufmachen!«
Man hörte, wie etliche Riegel zurückgeschoben wurden, als handle es sich um einen Tresor. Ein kleines Männchen erschien in der Tür. Vierzig Jahre alt, eine Haarsträhne lief vom einen Ohr über den Schädel und kaschierte mehr oder minder die Kahlköpfigkeit, die Brillengläser waren dick wie Butzenscheiben. Er trug eine verschlissene Flanellhose, ein langärmliges Hemd, das bis zum letzten Knopfloch zugeknöpft war, sowie ein Paar Pantoffeln. Sein Molluskengesicht hätte einem Mitleid einflößen können. Aber unter den dicken Gläsern, die seine Augen vergrößerten, brodelten eine Energie und ein Fieber, als blicke man auf einen
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