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Wer Boeses saet

Wer Boeses saet

Titel: Wer Boeses saet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Descosse
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dieser glühende Verfechter extremer Gewalt jetzt ins Hemd. François nutzte das aus.
    »Wir werden ja sehen. Fürs Erste erzählen Sie mir einmal genau, was Sie wissen.«
    »Sie waren zu viert.«
    »Sind Sie zusammen gekommen?«
    »Nein. Aber sie hatten sich schnell gefunden. Nach einer Stunde waren sie bereits unzertrennlich. Einer hat mit dem Thema der Splatterfilme angefangen. Mir wäre das nicht aufgefallen. Dann haben sich alle daraufgestürzt. Und ich kann Ihnen sagen, sie kannten sich wirklich aus.«
    Jedes Wort bestätigte die jüngsten Vermutungen. François spürte, dass sich jetzt eine Lösung am Horizont abzeichnete.
    »Ich wiederhole meine Frage. Haben Sie ihre Namen?«
    Panik.
    »Ich habe Sie nicht angelogen. Sie haben nur ihre Spitznamen angegeben, und die habe ich vergessen.«
    »Dann beschreiben Sie sie mir.«
    »Es waren drei junge Männer und eine junge Frau, achtzehn, zwanzig Jahre alt.«
    François fragte sich, ob er ihn richtig verstanden habe.
    Die Frau war genauso alt wie die jungen Männer?
    Natascha – eine Jugendliche! Entweder hatte dieser Lügenbold ihnen ein Märchen aufgetischt, oder sie waren in ihrer Ermittlungsarbeit drei Felder zurückgefallen.
    Wie sollte er das herausfinden?
    François erhob sich.
    »Ich muss Sie bitten, mir zu folgen.«
    »Aber …«
    »Sie haben von Anfang an gelogen. Wir wissen, dass die Frau mindestens fünfunddreißig ist.«
    »Nein! Nicht die, die gekommen ist! Das ist die Wahrheit …«
    Théron brach die Stimme. Er spürte, wie sich ein Abgrund vor ihm auftat, und fing jämmerlich zu schreien an. Beim Anblick dieser Reaktion fiel es schwer, ihm keinen Glauben zu schenken.
    François setzte sich völlig verstört wieder hin. Nichts ergab mehr einen Sinn. Der andere Mann fuhr fort, sich zu rechtfertigen:
    »Sie war blond. Groß. Sehr zart. Ich kann Ihnen ihr Gesicht nicht beschreiben, ich erinnere mich nicht mehr daran. Aber ein Detail ist mir aufgefallen.«
    »Erzählen Sie.«
    »Sie hatte das, was wir Franzosen Glückszähne nennen. Sie wissen schon, wenn die Zähne ein bisschen auseinanderstehen.«
    Der Polizeibeamte hörte nur noch halb zu. Trotz der zwei Xanax, die er vor einer Stunde geschluckt hatte, packte ihn jetzt die nackte Angst.
    Théron hörte nicht auf.
    »Bei ihr sah das sehr charmant aus. Vor allem mit dem Schönheitsfleck auf der Oberlippe.«
    Ihm brach der kalte Schweiß aus. Er konnte nicht mehr klar sehen. Er hatte das Gefühl, ein schwarzes Loch tue sich auf und ziehe ihn in den Tod.
    François spürte, wie er in Ohnmacht fiel.
    Er schloss die Augen und versuchte, die Woge zu bändigen, die über ihn hereinbrach. Fünf Sekunden, zehn vielleicht. So lange, wie ein Körper braucht, um nach einem Fall aus dem fünfzehnten Stock auf dem Boden aufzuschlagen.
    »Monsieur? Ist alles in Ordnung?«
    Der Kommissar kam wieder zu sich. Er stand auf und ging zur Tür.
    »Verlassen Sie nicht die Wohnung. Wir brauchen noch Ihre Zeugenaussage.«
    Ohne die Antwort abzuwarten, stürmte er auf den Flur hinaus und rannte wie ein Irrer die Treppe hinunter auf den Vorplatz.
    Der Regen legte sich wie eine eisige Schleimhaut auf ihn. Er sog tief die frische Luft ein.
    Erst jetzt begriff er, was gerade geschehen war.
    Die Angst war nicht aus dem Nichts gekommen.
    Sie hatte mit der Beschreibung zu tun, die Théron ihm gerade gegeben hatte. Eine Beschreibung, die so weitreichende Folgen haben würde, dass er dies nicht hatte wahrhaben wollen und deren offenkundige Bedeutung er leugnete.
    Weil er sie nicht verkraften konnte.
    In wenigen banalen Sätzen hatte dieser Dreckskerl ihm gerade Charlotte beschrieben.
    63
    Ein Feuersturm.
    François hatte sich in seinen Touareg verkrochen und versuchte, die wütende Flamme in seinem Kopf zu ersticken. Vergebens. Brennende Zweifel nagten an ihm, und seine Angst drohte, ihn mit ihren giftigen Dämpfen zu ersticken.
    In diesem Augenblick dachte er gar nichts mehr.
    Er überstand es nur.
    Sein eigenes Kind. Verwickelt in diese kranke Geschichte. Charlotte. Eine Mörderin. Allein schon bei dem Gedanken drehte er fast durch.
    Er versuchte, sich zu beruhigen. Théron hatte ihm gerade eine Beschreibung geliefert, die ihn an seine Tochter erinnerte. Aber es gab keinen Beweis, dass sie es auch tatsächlich war. Groß, blond, zart. Dutzende von Frauen könnte man so beschreiben. Sicher, Glückszähne und ein Leberfleck über der Lippe waren schon nicht mehr so häufig. Vor allem in dieser Kombination. Aber auch das bewies nichts.

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