Wer Boeses saet
wurde.
»Einverstanden … Ab und zu helfe ich ein bisschen nach. Wo ist das Problem?«
»Sie müssten wissen, dass damit nichts gelöst wird.«
»Ich tu, was ich kann.«
»Was ist Ihr Problem? Zu viel Arbeit? Nicht genug Geld? Eine Frau vielleicht?«
»Lassen Sie’s gut sein.«
»Na los … Erzählen Sie’s mir. Das kann nicht schaden.«
»Es wäre mir vor allem recht, wenn Sie sich nicht in meine Angelegenheiten einmischen würden.«
François war in der Defensive. Jede Erwiderung riss ihn nur tiefer hinein. Julia schien das gemerkt zu haben, denn sie ließ nicht mehr locker.
»Sind das so düstere Geschäfte?«
»Sie würden das nicht verstehen.«
»Zu doof dazu?«
»Nur ein bisschen zu jung, das ist alles.«
Auf einen Schlag verdüsterte sich ihre Miene.
»Ein bisschen zu jung?
»Ganz genau, das ist es.«
Ihr Lächeln wirkte hart.
»Glauben Sie, ich habe nur darauf gewartet, dass Sie daherkommen und mich belehren? Ich hab auch meinen Teil abbekommen. Psychotherapeuten, Beruhigungsmittel, Antidepressiva … Das volle Programm. Und dann habe ich eines Tages beschlossen, dass es genug war. Und außer mir gab’s niemanden, der mir genau den Arschtritt hätte verpassen können, den ich damals gebraucht hätte.«
François stand wie angenagelt da. Sie erzählte von sich und bestätigte ihm damit nur, was er schon geahnt hatte. Viele Prüfungen, viel Leid, große Kämpfe … Sie hatte ihren Teil abbekommen.
»Warum erzählen Sie mir das?«
»Damit Sie endlich mal reagieren, zum Teufel! Ich weiß nicht, was mit Ihnen passiert ist, aber eines weiß ich gewiss: Ihnen geht es schlecht. Das springt ins Auge. Und das Schlimmste bei Ihrer Geschichte ist: Keiner hat den Mut, es Ihnen ins Gesicht zu sagen.«
Touché. Er versuchte trotzdem, der Frage auszuweichen.
»Wir haben alle unsere Gespenster. Die meinen kommen zu mir und ziehen mich an den Füßen, vor allem in Vollmondnächten.«
»Möchten Sie sie mir nicht vorstellen?«
Ihre Stimme klang jetzt sanft. Ein heftiges Gefühl erfasste den Profiler. Eine mächtige Woge, wie ihn seit Urzeiten keine mehr überrollt hatte. Er ließ ein paar Sekunden verstreichen, unfähig, auch nur ein Wort herauszubringen.
Sie kam ihm zu Hilfe.
»Na gut … Wissen Sie, was wir jetzt machen?«
»Keine Ahnung.«
»Entspannen Sie sich, und hören Sie mir zu.«
Sie holte erst mal tief Luft, dann begann sie zu sprechen. Über ihre Kindheit bei den Sch’tis, in Mons-en-Barœul. Ihre Familie, die zwar ein bescheidenes Leben führte, in deren Mitte aber eine liebevolle Mutter stand. Die grenzenlose Bewunderung für einen abwesenden Vater, einen Handlungsreisenden, der auf Tapeten spezialisiert war und sein Leben auf den Straßen zubrachte. Sie sprach auch davon, wie sie als Jugendliche Gott begegnet war. Damals war ihr die Idee gekommen, einen Teil Ihres Lebens dem Dienst an Ihm zu widmen …
Dann der Blitz aus heiterem Himmel.
Julia hatte die abscheuliche Neuigkeit aus den Fernsehnachrichten erfahren. Die Polizei hatte Pascal Drouot festgenommen, nachdem sie ihn monatelang beschattet hatte. Im doppelten Boden seines Koffers hatte man die niederschmetternden Beweise für seine Beteiligung an einem Kinderpornoring gefunden. VHS -Kassetten, Zeitschriften, und vor allem ein ledernes Notizbuch, in dem die Polizei die Adressen zahlloser Kontaktpersonen gefunden hatte. In weniger als einer Minute war die Welt des Mädchens zu Asche geworden. Dieser Vater, den es so liebte, dieses männliche Vorbild, das es aufgrund seiner Abwesenheit idealisiert hatte, war ein Monster. Sicher, er hatte seine Tochter nie angerührt. Weder sie noch ihre kleine Schwester. Trotzdem fühlte sie sich besudelt.
Prozess, Verurteilung, Haft. Sie hatte es nie über sich bringen können, ihn in der Haftanstalt zu besuchen.
Nach dem Abitur floh sie nach Lille, wo sie sich in der juristischen Fakultät einschrieb. Zu dem Zeitpunkt begann sie auch mit ihrer Therapie. Drei Sitzungen pro Woche, völlig umsonst. Dass sie durchhielt, hatte sie einzig und allein den Tabletten zu verdanken. Ihr Psychotherapeut stellte ihr jeden Monat ein ellenlanges Rezept aus.
Der echte Durchbruch kam vier Jahre später. Mit der bestandenen Prüfung zum Polizeileutnant. Sie hatte das Gefühl, endlich wieder erhobenen Hauptes durchs Leben gehen zu können. Aber im Innersten wusste sie, dass die Narben ihr immer Schmerzen bereiten würden. Selbst Gott konnte dieses Feuer nicht löschen.
Julia hielt inne. Die Stille im
Weitere Kostenlose Bücher