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Wer Boeses saet

Wer Boeses saet

Titel: Wer Boeses saet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Descosse
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so hart! Heute Abend gehe ich mit Feuer im Bauch schlafen. Ich habe mich nach dem Brechmittel sechsundzwanzigmal übergeben müssen. Mein Hals ist ganz wund. Ich hab schon gar keine Zunge mehr. Ich muss damit aufhören!«
    10. Januar 2009 .
    »Die Verrückte glaubt, dass es mir gut geht. Sie hat die Situation ausgenutzt, um mir ihr Leben zu erzählen. Ich kenne es in- und auswendig, ihr Scheißleben. Wegen ihr ist es so weit mit mir gekommen. Ana lässt grüßen, erst die Mutter, dann die Tochter. Wenn das kein Schicksal ist. Hätte ich noch was im Bauch, müsste ich sofort kotzen. Im Grunde kotze ich mich selber aus, glaube ich. Ich hätte gerne den Mut, das Buch zuzuschlagen. Eines Tages wird mir das auch gelingen. Ich habe keine andere Wahl mehr.«
    9. Januar 2009 .
    »Ich muss aufpassen. Ich habe die McDonald’s-Verpackungen im Mülleimer liegen lassen. Acht Big Macs. Sie hätte was merken können. Zum Glück war sie vollgedröhnt. Das nächste Mal ziehe ich sie mir direkt vor Ort rein.«
    François griff mechanisch nach dem nächsten Sushi. Er führte es zum Mund und legte es dann sofort wieder hin. Keinen Hunger mehr. Einen Knoten im Magen. Er richtete sich auf und las dann weiter.
    2. Januar 2009 .
    »Warum haben sie mich bloß Justine genannt? Sie hätten mir ja auch einen anderen Namen geben können, daran herrscht doch kein Mangel. Eine Masochistin und ein Sadist. Die waren wie füreinander gemacht. Und was soll ich in dem Ganzen? Was bin ich? Das Ergebnis dieses Grauens?«
    1. Januar 2009 .
    »Seit einer Stunde haben wir Neujahr. Alles Gute für euch alle. Das Höllenpaar hat sich aus dem Staub gemacht. Der Zwerg schläft bereits nebenan, und ich bin allein wie immer. Hab keine Lust, so zu tun als ob und einen auf Riesenspaß zu machen. Ich möchte einfach nur essen. Und ich hab mir auch gar keinen Zwang angetan. Eine ganze Packung Nudeln und vier Gläser Bolognesesauce. Wenn ich dann kotzen muss, bring ich besser die Möbel in Sicherheit. So eine Kacke. Ich kann doch so nicht weitermachen …«
    Der Polizist kam am Ende der Seite an. Ein Rechteck lief auf der rechten Seite entlang, in dem sich die Archive befanden. Sie waren monatsweise geordnet und gingen zurück bis zum Juni 2008, wahrscheinlich das Datum, an dem der Blog eingerichtet wurde.
    Er fing vorn an.
    5. Juni 2008 .
    »Hallo, ihr alle, und willkommen auf meinem neuen Blog. Ich hoffe, der Name gefällt euch. Ich persönlich finde ihn lustig. Jedenfalls hatte ich keine Wahl. So wenig wie bei dem alten Blog. Meine Alten machen hier voll einen auf Spitzel. Ich muss jedes Mal den Verlauf löschen. Aber uns soll das mal egal sein. Wir werden in aller Ruhe miteinander quatschen können, genau wie in ana-conda. Wir lassen uns von ihren Scheißgesetzen nicht am Leben hindern. Ihr könnt uns mal. Ich liebe euch.«
    François hatte Pappmaché im Mund. Er nahm einen Schluck Fruchtsaft und nutzte die Gelegenheit, um Bilanz zu ziehen.
    Giraud, sein Exkollege von der Seeklinik, hatte die Sache ganz richtig gesehen. Justine war nicht geheilt, weit gefehlt. Sie spielte ihren Eltern, die sie hasste, etwas vor, und machte weiter mit ihrer Selbstzerstörung. Aber vor allem hatte sie Kontakt zu der Pro-Ana-Gemeinde gepflegt. Zunächst über einen ersten Blog, der wahrscheinlich eindeutiger zuzuordnen gewesen war und daher zensiert wurde. Dann über einen zweiten, der sich zwar nicht offiziell zu der Bewegung bekannte, in dem es aber um dasselbe ging: seelisches Leid, Misshandlung des Körpers, Tod als einziger Ausweg.
    Er ging schnell die Archive durch, suchte nach einem kleinen Detail. Nichts. Justine spuckte Gift und Galle, beweinte ihr Schicksal und ließ sich lang und breit über das Thema Selbstmord aus. Von all diesen brutalen Sätzen berührte eine Botschaft ihn ganz besonders stark.
    6. September 2008 .
    »Leben. Ins Gymnasium gehen, ins Kino, einen Freund haben. Das scheint so einfach zu sein … Aber da ist dieses Tier in mir. Es quält mich jeden Tag, hindert mich am Atmen. Ich muss es füttern und habe gleichzeitig Lust, es zu zerstören. Ich habe das Gefühl, es ist mit meinen Eingeweiden verschmolzen. Wie ein Alien. Wenn ich es herausreiße, dann ist das mein eigener Körper, den ich verstümmele. Wenn ich es atmen lasse, dann frisst es mich auf. Es gibt keine Lösung. Keine einzige.«
    Eine Reihe von Smileys mit nach unten gezogenem Mundwinkel illustrierte die Verzweiflung, in der das junge Mädchen unterzugehen drohte.
    François wurde es eng ums

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