Wer braucht denn schon Liebe
quälenden Schmerz in der Brust an sie denken. Die Diskrepanz zwischen der strahlenden mildtätigen Herrscherin und der kalt lächelnden Mutter, die im Namen von Disziplin und Staatsraison nicht davor zurückschreckte, ihren kleinen Sohn vor dem gesamten Hofstaat zu demütigen, war einfach zu groß.
Vielleicht lag in dieser Erfahrung auch der Grund für die Geringschätzung, die er den meisten Frauen, denen er begegnete, entgegenbrachte. Als kleiner Junge hatte er noch um die Liebe seiner Mutter betteln müssen. Jetzt als Erwachsener drehte er den Spieß einfach um.
Wenn er mit melancholisch umwölkter Stirn in die Runde blickte, warfen die Frauen sich ihm gleich scharenweise zu Füßen. Er konnte sie alle haben: Adelige, Geldadelige, Top-Stars des Sports und aus allen Bereichen der Kultur. Seine letzte Eroberung war ein langbeiniges Model aus Tschechien gewesen, dessen rechte Schamlippe ein keltisches Tattoo zierte.
Ja, wenn er es darauf anlegte, reichten ihm ein, zwei Stunden, um die Kandidatin seiner Träume in ein Betthäschen zu verwandeln. Lorenzo strich sich bei diesem Gedanken müde mit der Hand über das Gesicht. Er war alles andere als stolz auf sich, wenn er darüber nachdachte. Denn im Grunde schoss er sich damit ein Eigentor nach dem anderen. Es fiel ihm schwer, Frauen, die schon in der ersten Nacht mit ihm ins Bett gingen, zu respektieren. Vielleicht hatte er deshalb mit seinen neunundzwanzig Jahren immer noch nicht die passende für sich gefunden.
Lorenzo streckte sich der Länge nach im Gras aus, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und blickte den weißen Schäfchenwolken hinterher, die über den Himmel zogen. Überrascht schoss er in die Höhe, als sich vor eine besonders füllige Wolke das Gesicht seines gegenwärtigen Albtraums schob. Vorwurfsvoll sah Karen auf ihn herab. Ihr kupferfarbenes Haar wehte wie ein in Unordnung geratener Vorhang im milden Wind.
»Sie haben nicht zufällig noch ein Stück von der Salami für mich?«, fragte Karen.
Gegen seinen Willen musste er lachen. »Sie sind wirklich die gefräßigste Frau, die mir je begegnet ist.«
»Wenn Gefräßigkeit für Sie schon bei einem harmlosen Frühstück anfängt. Ich habe Hunger.« Für den Austausch von Höflichkeitsformeln war entschieden der falsche Zeitpunkt.
Seine braunen Augen blinzelten irritiert zu ihr auf. Diesen Ton, der ihn schon gestern Abend so genervt hatte, bekam er nur selten zu hören. Seitdem er erwachsen war, eigentlich nie mehr. Wenn man von seinem Vater einmal absah. Im Allgemeinen behandelte man ihn vielmehr mit Respekt und ausgesuchter Höflichkeit.
Lorenzo begann Karen gerade für ihre Courage zu bewundern, da fiel ihm ein, dass sie ihn ja für einen ganz gewöhnlichen Vagabunden oder, sogar schlimmer noch, für einen echten Verbrecher hielt. Mit Gangstern ließ sich leicht locker umspringen.
»Hunger. Mangiare. Salami. Subito. Nun seien Sie doch nicht so begriffsstutzig!« Ausgehungert, wie sie sich fühlte, schaffte Karen es nicht, ihr Temperament in Zaum zu halten.
Lorenzo runzelte unwillig die Stirn. »Rothaarige sind kratzbürstig und leidenschaftlich, sagt mein Vater. Ich fange an, ihm zu glauben!«
»Pah! Dann sollten Sie sich mal mit meinem Freund Kevin unterhalten. Der sieht in mir einen wandelnden Eisschrank ohne Abtauautomatik!« Karen biss sich auf die Unterlippe, weil sie wieder einmal zu spät bemerkte, womit sie da herausgeplatzt war.
Prompt begannen die gelben Sprenkel in seinen Augen interessiert aufzuleuchten. »Hat dieser Kevin zufällig etwas mit Ihrer kleinen Wanderung durch Italien zu tun?«, erkundigte er sich verdächtig milde.
»Haben Sie nun was für mich zu essen oder nicht?!«
Die Salami war aus, aber im Rucksack musste noch ein Kanten trockenes Weißbrot sein. »Erst erzählen Sie mir, was es mit diesem Kevin auf sich hat!«
»Ich denke ja gar nicht dran.«
»Ihr Pech.« Betont träge erhob Lorenzo sich, um genauso langsam seinen Rucksack zu schultern. »Keine Geschichte, kein Brot.«
Karen lief das Wasser im Mund zusammen. »Es gibt nichts zu erzählen.«
»Außer?«
Sie holte tief Luft. »Nur, dass Kevin sich in Amalfi ein Haus ansehen wollte, das er im Auftrag eines Klienten verkaufen sollte und mich bat, ihn zu begleiten«, leierte sie immer schneller werdend runter.
»Weiter«, drängte er unnachgiebig. Er war jetzt wirklich gespannt, was sie vor ihm verbarg.
»Erst das Brot.« Mit einer schnellen Bewegung griff sie nach dem Rucksack auf seinem Rücken,
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