Wer Braucht Schon Eine Gucci-Tasche
Wie gesagt, Harriet war nie der mütterliche Typ. Und Melina noch viel weniger. Althea wusste, dass du sie brauchst. Deshalb flehte sie Philip an zu bleiben. Und sich in New York ein Leben aufzubauen. Er weigerte sich. Also wies Althea ihn zurück.«
»Wegen mir?« Gewissensbisse regten sich in mir, obwohl all das vorgefallen war, als ich noch ein kleines Mädchen gewesen war.
»Ja. Philip war unerbittlich, und Althea auch. Einen Kompromiss gab es nicht. Aber dann kam Melina mit einer Lösung. Sie bot Althea an, dich mit nach Paris zu nehmen.«
»Das glaube ich nicht«, sagte ich mit bebender Stimme.
»Es ist hässlich, trotzdem ist es die Wahrheit. Und Althea hatte viel zu lange für Melinas Sorglosigkeit bezahlt. Allerdings hatte Melinas Angebot seinen Preis. Sie hatte es geschafft, beträchtliche Schulden anzuhäufen. Wie du weißt, hat Niko das Hauptvermögen Harriet hinterlassen, aber für beide Mädchen war ein Treuhandfond eingerichtet worden, und für dich ebenfalls.«
»Ich habe einen Teil davon verwendet, um das Apartment zu kaufen.«
»Ja. Jedenfalls hat deine Mutter ihr Geld innerhalb weniger Monate durchgebracht, und sie wollte, dass Althea ihre Schulden begleicht.«
»Also hat Althea mich als Gegenleistung für das Geld verlangt«, sagte ich, noch immer wild entschlossen, meine Mutter zu verteidigen. Die Mutter, die allem Anschein nach niemals existiert hatte.
»Nein, Andi.« Bernie schüttelte mitfühlend den Kopf. »Anfangs hat Althea das Angebot rundweg abgelehnt. Aber Melina konnte ziemlich überzeugend sein, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Und am Ende war Althea zumindest bereit, diese Möglichkeit mit Philip zu besprechen.«
»Aber er hat Nein gesagt, stimmt’s?« Mit einem Mal fürchtete ich mich davor, wie die Geschichte ausging.
»Ja. Deshalb hat Althea sich geweigert, Melina das Geld zu geben.«
»Und genau darum ging es in dem Streit, den ich an diesem Abend mit angehört habe.«
Bernie nickte und schloss ihre faltige Hand um meine Finger. »Am nächsten Morgen fanden wir beim Aufwachen einen Brief, in dem sie uns mitteilte, dass sie mit Philip gegangen sei. Nach Paris.«
»O Gott, Althea muss am Boden zerstört gewesen sein.« Allein bei der Vorstellung wurde mir flau im Magen.
»Das ist das Seltsame daran«, fuhr Bernie fort. »Ich weiß, dass sie völlig niedergeschmettert gewesen sein muss. Aber statt Trübsal zu blasen oder zu versuchen, die beiden aufzuhalten, stürzte sie sich in die Aufgabe, dich großzuziehen. Melina mag zwar deine biologische Mutter sein, aber in jeder anderen Hinsicht, vor allem in denen, die wirklich wichtig sind, war es Althea, die dein Wohlergehen über alles andere gestellt hat. Althea war diejenige, die immer für dich da war. Selbst als alles den Bach runterging.«
»Und sie wollte nicht, dass ich all das erfahre?«
»Nein. Sie wollte deine Gefühle für deine Mutter wahren.«
»Und die Karten, die Mutter mir geschickt hat?«, fragte ich, als ein hässlicher Gedanke in meinem Kopf Gestalt annahm. »Die Geschenke?«
»Alle von Althea.«
»Ich hätte es wissen müssen. Alles war immer so perfekt. Die kleine französische Puppe. Der afrikanische Teppich in diesen perfekten Grüntönen. Die bemalte Kachel aus Bellagio. Alles Dinge, die ich liebte. Dinge, die nur jemand aussuchen konnte, der mich gut kannte.« Ich stieß den Atem aus, während ich verzweifelt eine Welt zu ordnen versuchte, die völlig aus den Fugen geraten war. »Was ist mit DuBois? Blieb er mit meiner Mutter zusammen?«
»Nein.« Bernie schüttelte den Kopf. »Nach wenigen Monaten gingen sie getrennter Wege. Und ich hatte immer den Verdacht, dass er seine Wahl bitter bereute. Aber vielleicht ist das auch nur Wunschdenken.«
Ich nahm noch einen Muffin und biss hinein, während ich die Bedeutung von Bernies Schilderung zu erfassen versuchte. Althea hatte mich dem Mann vorgezogen, den sie liebte. Und meine Mutter hatte Philip mir vorgezogen. Verdammt, alles hatte sie mir vorgezogen. Und ich hatte die ganze Zeit geglaubt, Althea sei die Unruhestifterin.
Althea, die immer für mich da gewesen war. In sämtlichen Höhen und Tiefen meines Lebens. Fürchterlich penetrant und unerträglich herrisch, aber immer da.
Ich schluckte den letzten Bissen meines Muffins hinunter – und mit einem Mal wusste ich es. So klar und deutlich, als prangte es in Neonlettern vor mir. »Zitronenschale«, sagte ich, völlig verblüfft, dass es so einfach war. »Die fehlende Zutat ist
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