Wer Braucht Schon Eine Gucci-Tasche
verstehe, dass du so empfindest. Aber du bist Althea gegenüber nicht fair«, tadelte sie und ließ das Omelett auf einen Teller gleiten, den sie vor mir auf den Küchenblock stellte. »Althea hatte die besten Absichten. Das weißt du ganz genau.«
»Tja, nur dass es nicht so funktioniert, wie sie es sich vorgestellt hat.«
»Du hast also mit ihr geredet?«
»Nein«, erwiderte ich. »Ich habe versucht, sie zu erreichen, aber sie hat nicht abgehoben. Was wahrscheinlich besser ist, weil ich nur Dinge gesagt hätte, die ich später bereuen würde. Ich sollte lieber warten, bis ich Zeit hatte, das Ganze zu verdauen.« Ich nahm eine Gabel voll Omelett und genoss die herrlich cremige Mischung aus Käse, Zwiebeln und Ei.
»Ich bin nicht sicher, ob sie dir so viel Zeit lassen wird.« Bernie reichte mir einen Teller Muffins. »Ich verstehe ja, dass du wütend bist, aber du kannst ihr nicht ewig aus dem Weg gehen. Sie ist deine Familie und hat dich großgezogen.«
»Aber sie ist nicht meine Mutter, falls du das damit andeuten willst.« Die Worte klangen bitter, aber ich war nicht länger bereit, Nettigkeiten zu verbreiten. »Melina ist meine Mutter. Und wenn Althea sie nicht aus dem Haus getrieben hätte, wäre sie da gewesen, um mich großzuziehen.«
»Du hast doch keine Ahnung, wovon du redest«, erklärte Bernie mit untypisch leiser Stimme.
»Ich war dabei, Bernie. Ich habe sie streiten gehört.«
»Du warst noch ein kleines Mädchen. Und glaub mir eines – was du zu hören geglaubt hast, war nur die Spitze eines gewaltigen Eisbergs.«
»Wovon redest du?«
»Von der Wahrheit. Ich habe all die Jahre den Mund gehalten, weil es mir nicht zustand, dir die Wahrheit zu sagen, und weil Althea dir deine Erinnerungen an Melina bewahren wollte. Aber ich glaube, es wird langsam Zeit, mit den Lügen aufzuräumen.«
»Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst«, erwiderte ich und biss in meinen Muffin. »Aber nichts, was du sagst, wird an meinen Gefühlen für meine Mutter etwas ändern.« Ich klang trotzig, aber in letzter Zeit war ich häufig genug gezwungen gewesen, den Realitäten ins Auge zu blicken, und ich war nicht sicher, ob ich bereit für eine weitere Enthüllung war. Meine Wut auf Althea war das Einzige, was mich im Augenblick zusammenhielt. Das und Bernies Kochkunst.
»Mag sein. Aber du musst trotzdem die Wahrheit erfahren.« Sie setzte sich mir gegenüber und blickte mich liebevoll an. »Deine Mutter sei ein Schmetterling, hat dein Großvater früher immer gesagt. Stets von einer Blüte zur nächsten, nie lange genug an einem Ort, um tiefen Eindruck zu hinterlassen. Sie war wunderschön. So wie du, Andi. Und selbst ich muss zugeben, dass es eine Freude war, ihr zuzusehen.«
»Wenn sie lächelte, war es, als gehe die Sonne auf, daran erinnere ich mich noch«, sagte ich, als sich das Bild ihres Gesichts vor mein geistiges Auge schob.
»Sie war ein furchtloser Mensch«, fuhr Bernie fort. »Und das hat deinen Großeltern Angst gemacht. Aber Althea schien immer da zu sein, um auf sie aufzupassen. Und ohne es mitzubekommen, übergaben sie die Verantwortung für Melina an Althea.«
»Aber Mutter war doch älter als Althea«, wandte ich ein.
»Ja. Was das Ganze wohl noch ungewöhnlicher macht. Aber Althea war schon immer diejenige, die sich um andere gekümmert hat. Ich glaube, deshalb ist sie in ihrem Beruf so erfolgreich. Trotz all des Geredes von wegen ›Gleich und Gleich gesellt sich gern‹ glaubte sie tief in ihrem Innern immer noch an die Macht der Liebe.«
»Du verstehst sicher, wenn ich sage, dass ich dir in diesem Punkt nicht zustimme.«
»Die Dinge sind nicht immer so, wie sie auf den ersten Blick erscheinen, Andi.«
»Na gut, schön. Wir einigen uns darauf, dass Althea irgendwann einmal an die Liebe geglaubt hat. Aber du hast in der Vergangenheitsform gesprochen, deshalb gehe ich davon aus, dass sie es heute nicht mehr tut, ja?«
»Moment, dazu komme ich gleich.« Bernie trank einen Schluck von ihrem Kaffee. »Also, wo war ich stehen geblieben?«
»Mutter, der Schmetterling.«
»Stimmt.« Sie nickte. »Je älter Melina wurde, umso wirrer wurde sie. Obwohl ich nicht sicher bin, ob das das richtige Wort dafür ist. In vielerlei Hinsicht war Melina wie Harriet. Beide waren entschlossen, die Welt durch eine rosa Brille zu sehen. Auf diese Weise mag das Leben für sie angenehm sein, aber häufig verletzt man eben die Menschen um einen herum.«
»Wie Harriet dadurch, dass sie jetzt nicht hier ist.«
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