Wer Braucht Schon Eine Gucci-Tasche
Es war ein abscheulicher Gedanke, dennoch konnte ich ihn nicht leugnen. Meine Großmutter liebte mich, das wusste ich, aber sie war niemals wirklich für mich da. Und so schmerzlich es sein mochte, es mir einzugestehen – genau das Gleiche galt für meine Mutter. Und zwar noch mehr.
»Genau«, stimmte Bernie zu. »Aber wir waren bei deiner Mutter. Du musst wissen, dass Melina an der langen Leine gehalten wurde. Sie konnte tun, was ihr gerade in den Sinn kam. Was zu einigen recht indiskreten Begebenheiten führte.«
»Mich, meinst du«, sagte ich und biss erneut in meinen Muffin.
»Nun ja, zumindest die Ereignisse, die zu deiner Geburt geführt haben. Aber da war noch mehr. Wie gesagt – Melina hatte keine Angst. Vor gar nichts. Auch nicht vor allen möglichen Experimenten. Meistens gelang es ihr, halbwegs auf Kurs zu bleiben, aber es gab definitiv Momente, in denen sie es zu weit getrieben hat.«
»Willst du damit sagen, Mutter hat Drogen genommen?«, fragte ich. »Wer hat das nicht getan?«
»Ich, zum Beispiel«, erwiderte Bernie lächelnd. »Aber es gab auch noch andere Dinge. Sie sind allesamt nicht wichtig, aber sie helfen zu verstehen, wie sehr Melina mit dem Feuer gespielt hat.«
»Ich weiß, dass Mutter ein ziemlicher Wildfang war, aber was hat das damit zu tun, dass Althea sie aus dem Haus gejagt hat?«
»Wie kommst du darauf, dass Althea sie aus dem Haus gejagt hat?«
»Ich habe doch gesagt, dass ich die beiden gehört habe. Sie haben sich angeschrien. Althea hat Mutter an den Kopf geworfen, sie sei nicht fähig, ein Kind großzuziehen. Und am nächsten Morgen war Mutter fort. Was hätte ich denn sonst denken sollen?«
»Das war aber nicht die ganze Geschichte.«
»Woher um alles in der Welt sollte ich das wissen? Ich war acht Jahre alt.«
»Tja, jetzt bist du es aber nicht mehr.« Bernies Tonfall war sanft, dennoch entging mir der leise Tadel darin nicht.
»Also gut.« Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Dann erzähl mir, was damals wirklich passiert ist.«
»Du musst wissen, dass Althea zu dieser Zeit praktisch kein eigenes Leben hatte«, begann Bernie. »Sich um Melina zu kümmern, war ein Vollzeitjob. Und nach dem Tod deines Großvaters kam Harriet noch dazu. Von dir einmal ganz abgesehen.«
»Althea ist also Cinderella, ja?«
»Nein, du sollst nur wissen, dass sie außerhalb der Familie so gut wie kein eigenes Leben hatte, bis sie sich verliebte.«
»Althea?« Der Gedanke war geradezu grotesk. Sie war so mit dem Privatleben anderer beschäftigt, dass ich mir kaum vorzustellen vermochte, dass sie selbst eines gehabt haben könnte.
»Ja. Und zumindest eine Zeitlang war sie sehr glücklich.«
»Mit wem war sie zusammen?«, fragte ich und stellte fest, dass ich tatächlich Mühe hatte, mir Althea als junge, verliebte Frau vorzustellen.
»Philip DuBois.«
Schweigen senkte sich über den Raum.
»Althea war mit Philip DuBois zusammen«, presste ich schließlich hervor, erstaunt, dass ich überhaupt einen Ton herausbrachte. »Mit meinem Philip DuBois.«
»Genau.« Bernie nickte.
»Deshalb hat er das Interview abgelehnt«, sagte ich mehr zu mir selbst als zu Bernie. »Er hat Monica erklärt, es hätte etwas mit Althea zu tun. Und ich dachte, es läge an der schlechten Presse.«
»Natürlich weiß ich nicht, was in Philip DuBois’ Kopf vorgeht, aber wenn man eins und eins zusammenzählt, liegt es auf der Hand, dass er unter diesen Umständen die Verbindung zwischen euch nicht vertiefen möchte.«
»Aus deinem Mund klingt das so hässlich. Und ich verstehe immer noch nicht, was all das mit dem Streit am Vorabend vor Mutters Verschwinden zu tun hat.«
»Es hat alles damit zu tun.« Bernie hielt mit grimmiger Miene inne. »Melina ist mit Philip durchgebrannt.«
»O mein Gott.« Das Herz wurde mir schwer, und meine Augen füllten sich mit Tränen. Wie wütend ich auf Althea sein mochte – diesen Verrat hatte sie gewiss nicht verdient.
»Philip war noch jung. Und durch und durch Franzose. Er hatte Althea gebeten, mit ihm zu kommen. Nach Paris. Trotz seines Erfolgs in New York hatte er Heimweh. Also bat er Althea, ihn zu begleiten. Und sie wollte es so gern tun. Ich weiß es, weil ich sie deswegen weinen hörte, aber als ich sie trösten und dazu bringen wollte, sich auszusprechen, meinte sie, es wäre alles in Ordnung.«
»Aber sie ist nicht mit ihm gegangen.« Ich schob meinen Teller mit dem Omelett beiseite.
»Nein. Am Ende entschied sie sich dafür, bei dir zu bleiben.
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