Wer braucht schon Liebe
setze ich mich an die Küchentheke und sehe ihr bei der Arbeit zu. Sie bereitet alles mit solcher Sorgfalt zu, als wäre sie stolz auf ihre Arbeit. Mir fällt die einzige Arbeit ein, um die ich mich kümmern sollte – Kostüme für Macbeth. Und ich habe ein schlechtes Gewissen. Die Proben schreiten in rasender Geschwindigkeit voran. Und ich habe noch nichts getan. Jeden Augenblick könnten sie mich nach meinen Ideen fragen. Und ich hab noch nicht mal eine Idee! Ich sollte mich wenigstens mal auf Google umschauen. Ich zwinge mich, nach oben zu gehen, um meinen Laptop zu holen, und nehme ihn mit in die Küche. Ich fühle mich schon ein bisschen besser, weil ich aktiv geworden bin. Als ich ihn auf die Küchentheke stelle, bringt Barbara mir gerade meinen Smoothie in einem hohen, eleganten Glas, das sie irgendwo genau zu so einem Anlass versteckt hatte. Ich probiere einen Schluck.
Oh mein Gott. » Mhhh!«
Ihr Gesichtsausdruck wird ganz weich. Womöglich fängt sie an, mich zu mögen. Ich google » Macbeth« und » Kostüme«. Die Seiten erscheinen. Zum größten Teil Theatergruppen, die ihre eigenen Kostüme präsentieren, kaum Online-Shops. Wenigstens bekomme ich so eine Vorstellung von dem, was die Menschen damals getragen haben.
» Ooooh. Ich glaube, ich nehme auch so einen«, sagt eine Stimme hinter mir. Es ist die Stylistin. Sie wirkt jetzt ganz anders. Nicht mehr nervig und immer gut gelaunt, sondern wie jemand, der trotz allem gut gelaunt ist oder der zumindest versucht, es zu sein. Und es kommt mir gemein vor, sie weiterhin die Stylistin zu nennen.
» Was gibt’s Neues«, fragt sie und wirft einen Blick auf den Computer.
» Ich muss mich um Kostüme für das Schultheater kümmern.«
» Hey! Das macht bestimmt eine Menge Spaß.«
Ich stelle mir Lady Macbeth in einer engen Lederhose vor und frage mich, ob ich einen Fehler mache, als ich sage: » Du kannst mir helfen – wenn du willst.«
» Wirklich?« Sie klingt, als würde ich ihr einen Gefallen tun.
Sie scrollt sich durch die Bilder von Lady Macbeth, die einige Theatergruppen online gestellt haben.
» Was denkst du?«, fragt sie.
» Eigentlich nicht viel. Ich fange gerade erst an.«
» Okay.« Sie rückt ihren Stuhl näher. » Lass uns über Lady Macbeth nachdenken. Wer ist sie? Was will sie? Was treibt sie an?«
Seit Mum krank wurde, ist meine Konzentration nicht mehr die beste. Aber so viel habe ich mitgekriegt: » Sie will den Thron für ihren Ehemann Macbeth.«
» Aha, aber um ihn zu kriegen, muss er seinen geliebten Cousin töten, nicht wahr?«
Sie kennt Macbeth ?
» Also, was für eine Art Mensch ist sie?«
» Skrupellos.«
» Genau. Ein machtgeiles, skrupelloses Miststück.«
Ich lache. Es klingt, als würde sie über einen echten Menschen reden. Über die Freundin ihres Ex?
» Also«, sagt sie, » wie bringt Lady M. ihren Ehemann dazu, zum Mörder zu werden?«
Ich versuche, mich zu erinnern.
Marsha wartet nicht. » Sie setzt die Waffen einer Frau ein. Sie macht ihn an.«
Klingt nicht sehr vertraut. » Ich glaube nicht, dass das in dem Stück vorkommt.«
» Vielleicht nicht ausdrücklich. Aber es steht drin. Es ist so gemeint. Hast du eine Ausgabe von dem Stück?«
» Irgendwo.«
» Also, worauf wartest du noch?« Und man muss sie dafür bewundern, wie sie ihre ganze Energie auf diese eine Sache konzentrieren und dabei die andere Große Sache vergessen kann.
Ich finde das Buch ganz unten in meiner Tasche. Es ist ein bisschen zerfleddert, aber ansonsten noch gut in Schuss. Marsha blättert durch die Seiten und fährt die Zeilen mit dem Finger nach.
» Hier ist es. Erster Akt, Fünfte Szene. Das erste Mal, dass sie zusammen sind. Sie macht ihn an, erzählt ihm, wie toll er ist.« Sie liest die Zeilen. » Hast du sie nicht vor Augen?«, sagt sie, » wie sie ihn total anbaggert?«
Wenn sie es so liest, habe ich das tatsächlich.
» Es passt alles zusammen«, sagt sie. » Schau hier, als er später versucht, da wieder rauszukommen, sagt sie ihm, dass er kein Mann ist. Sie baut ihn auf. Macht ihn runter. Was für ein Biest.«
Ich kapier’s. Hundertprozentig. Aber was ist mit Rachel, die Mark Delaney anbaggern müsste? » Entscheidet nicht der Regisseur so etwas?«
» Na ja, ja, technisch gesehen schon.« Sie sieht mich an. » Wer spielt Lady Macbeth?«
» Meine Freundin Rachel.«
» Na also. Wir müssen sie nur anziehen wie ein Flittchen … «, an dieser Stelle verschlucke ich mich fast, » … und dafür sorgen, dass sie
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