Wer bricht das Schweigen (German Edition)
eine meiner Schülerinnen zu ihm bringen musste. Das Mädchen hatte sich im Sportunterricht seinen Knöchel verstaucht. Daher kenne ich den Arzt.“
„ Er soll sehr nett sein. Und dazu auch noch umwerfend aussehen, habe ich gehört.“
Klang da etwa Neid in ihrer Stimme durch? Janina konnte es sich nicht vorstellen. Bisher hatte Martina ihr doch immer wieder vorgeschwärmt, wie wunderbar sie sich mit ihrem Verlobten verstand.
„ Doktor Baumann ist sehr hilfsbereit, hat mir die Mutter einer meiner Schülerinnen erzählt“, bestätigte Janina. „Ich kenne ihn noch zu wenig, um selbst etwas dazu sagen zu können.“ Sie hatte einfach keine Lust, sich mit der Kollegin darüber zu unterhalten, welche Vor- und Nachteile der Mann hatte.
„ Vielleicht weiß ich bald mehr über ihn“, meinte Martina mit einem geheimnisvollen Lächeln. „Mir ist gerade eingefallen, dass ich einige Wehwehchen habe, die ich längst einmal mit einem Arzt abklären wollte. Wahrscheinlich rufe ich ihn gleich morgen an, um einen Termin mit ihm zu vereinbaren. Ich warte nämlich nicht gern.“
Eigentlich kann es mir doch gleichgültig sein, wenn die Kollegin Michael konsultieren will, sagte sich Janina, aber sie konnte nicht verhindern, dass sie allein schon der Gedanke daran störte. Martina war schön und selbstbewusst. Dagegen fühlte sie sich eher wie eine graue Maus.
Ich bin doch nicht etwa eifersüchtig? fragte sie sich entsetzt. Eifersucht war eine schreckliche Krankheit, die sie nie wieder durchmachen wollte.
„ Das Wartezimmer war leer, als ich damals bei Doktor Baumann war. Aber für so einen schweren Fall wie den deinen, sollte er sich schon etwas mehr Zeit nehmen.“ Janina war entsetzt, wie spitz ihre Stimme klang, aber Martina schien es nicht aufzufallen. Vielleicht ließ sie sich auch nur nichts anmerken.
„ Ich werde vor der Haustür auf Michael warten“, entschied Janina, um die unerfreuliche Unterhaltung zu beenden. „Vielleicht setze ich mich auch draußen auf eine Bank und lese.“
„ Es kann sein, dass du dich auf eine längere Lesestunde einrichten musst, Janina. Bei einem Arzt kann man sich nicht darauf verlassen, dass er pünktlich zu seiner Verabredung kommt“, riet ihr Martina noch lachend, als sie schon auf der Treppe war.
Janina atmete erleichtert auf, als die Schulhaustür hinter ihr zuschlug. Sie schaute die Dorfstraße, die unmittelbar am Schulhaus vorbeiging, hinauf und hinunter. Die Straße wirkte wie ausgestorben. Um diese Zeit waren die Bauern in ihren Ställen beschäftigt.
Von Michael war auch noch nichts zu sehen. Das gab ihr Gelegenheit, ihre Unterhaltung mit der Kollegin noch einmal zu überdenken. Vor kurzem erst hatte ihr Martina erzählt, dass sie ihren Verlobten im Herbst heiraten wollte. Janina fragte sich, warum sie dann so erpicht darauf war, Michael kennenzulernen. Dass sie nur einen ärztlichen Rat einholen wollte, war natürlich nur ein Vorwand. Ob sie auch zu der Sorte Frauen gehörte, die sich erst dann für einen Mann begeistern konnten, wenn sie wussten, dass er einer anderen gehörte?
„ Wo willst du denn so eilig hin, Janina?“, fragte auf einmal eine Männerstimme lachend hinter ihr. „Wie du siehst, entkommst du mir nicht so leicht. Ich bin nur ein wenig außer Atem.“
Verblüfft blieb sie stehen. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie sich auf einmal in Bewegung gesetzt hatte. „Der kleine Spaziergang hat mir gut getan“, erklärte sie verlegen.
„ Und ich dachte schon, du läufst vor mir weg“, neckte er sie. „Ich habe mich leider etwas verspätet, weil noch jemand im Wartezimmer saß, als ich von meinen Hausbesuchen zurückkam. Es war ein hektischer Tag, aber jetzt freue ich mich ehrlich auf den Abend mit dir.“
Er schob seine Hand unter ihren Arm, als er sie zu seinem Wagen zurückbrachte. Die Gardine bewegte sich leicht, als Janina zu den Fenstern ihrer Kollegin hinaufschaute. Martina wollte sich also Gewissheit verschaffen, ob sich ein Besuch bei Doktor Baumann auch lohnte.
In seinem dunklen Anzug sieht Michael einfach umwerfend aus, stellte sie fest, als sie ihn heimlich musterte. Aber genau das war es doch, was sie nie wieder wollte. „Einen Mann, der gut aussieht, hast du nie für dich alleine“, hatte ihre Mutter sie früher immer gewarnt. Se hatte damit auf ihre eigene Ehe angespielt, aber auch für Janina waren diese Worte zur traurigen Wahrheit geworden.
Wie ein Modell hatte Linda ausgesehen.
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