Wer bricht das Schweigen (German Edition)
überheblich?“, unterbrach er sie. „Vielleicht solltest du dir die Mühe machen, mich besser kennenzulernen. Ich habe den Eindruck, dass du ein völlig falsches Bild von mir hast. Gerade von dir würde ich mir wünschen, dass du mich so siehst, wie ich in Wirklichkeit bin, mit allen Schwächen und hoffentlich auch einigen Vorzügen.“
Warum ist es ihm wichtig, wie ich über ihn denke? fragte sich Janina; aber sie schreckte davor zurück, ihn danach zu fragen. Stattdessen hielt sie es für besser, auf ein anderes Thema abzulenken. „Regina ist heute nicht zum Unterricht gekommen“, begann sie. „Du erinnerst dich doch noch an sie? Ich habe sie mit einem verstauchten Knöchel zu dir gebracht.“
„ Selbstverständlich weiß ich, wen du meinst. Der Kleinen verdanke ich es doch, dass wir uns endlich begegnet sind. Das Kind ist krank. Spätestens übermorgen kann es aber bestimmt wieder zur Schule kommen. Gerade noch rechtzeitig vor den großen Ferien“, fiel ihm ein. „Wirst du auch verreisen?“
„ Ich bleibe in Diebach.“
„Keine Freunde von früher, die du besuchen musst?“, fragte er nachdenklich.
Sie schüttelte heftig den Kopf. „Weder Freunde noch Bekannte, zu denen sich die Reise lohnen würde. Ich habe ein neues Kapitel meiner Lebensgeschichte begonnen.“
„ So etwas macht man immer nur dann, wenn man nicht mehr weiter weiß. Ich vermute, eine gescheiterte Beziehung war der Grund dafür, dass du
dich zur Flucht aufs Land entschlossen hast.“
„ Richtig! Das war der eigentliche Grund, dass ich mich nach Diebach habe versetzen lassen. Weißt du deshalb so gut Bescheid, weil du ähnliche Erfahrungen hinter dir hast?“
„ Bei mir steckt keine unglückliche Liebe dahinter“, gestand er. „Ich habe lange genug in einer Klinik gearbeitet. Dabei hatte ich immer nur das eine Ziel vor Augen, Landarzt zu werden. In die Heide wollte ich gehen, aber als mir diese Praxis hier angeboten wurde, konnte ich nicht widerstehen.“
„ Und es gab keine gebrochenen Herzen, die du zurückgelassen hast?“, fragte sie neugierig.
„ Einige traurige Gesichter gab es sicher“, schränkte er ein. „Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass auch nur eine meiner bisherigen Bekannten bereit gewesen wäre, mit mir aufs Land zu ziehen. Bis vor kurzem habe ich aber auch noch nicht ans Heiraten gedacht.“
Und jetzt? Hatte er seine Meinung inzwischen geändert? Die Frage beschäftigte Janina, aber sie konnte sie nicht stellen, ohne sich verdächtig zu machen. Sie schaute in die goldgelbe Flüssigkeit in ihrem Weinglas. War es nicht seltsam, dass sie schon bei ihrer ersten Begegnung mit Michael sofort das Gefühl hatte, ihn schon sehr lange zu kennen? Von einer Kollegin wusste sie, dass es ihr genauso ergangen war, als sie ihren Mann kennengelernt hatte. Es wurde eine himmelstürmende Liebe daraus, die aber inzwischen längst in die Brüche gegangen war. Janina fragte sich, ob es ein dauerhaftes Glück überhaupt geben konnte.
„ Würdest du mit mir tanzen, Janina?“, fragte Michael, als er hörte, dass im Nebenraum die Musik einsetzte.
Sie konnte ihm die Bitte nicht abschlagen. Es war sein Geburtstag, den sie feierten, auch wenn er schon einige Tage zurücklag. „Beklage dich nur nicht, wenn ich dir auf die Füße trete“, warnte sie ihn lediglich. „Ich habe das Tanzen sicher längst verlernt.“
Sie waren fast alleine auf der Tanzfläche. „Auf diesen Augenblick habe ich mich schon den ganzen Abend gefreut“, gestand er und zog sie näher zu sich heran. „Hast du etwa Angst vor mir, Janina?“, neckte er sie, als er spürte, wie sie sich in seinen Armen versteifte.
„ Habe ich denn einen Grund, mich vor dir zu fürchten, Michael?“, erkundigte sie sich schnippisch, weil sie sich ertappt fühlte.
Er dachte nach. „Um dir darauf antworten zu können, müsste ich zuerst wissen, vor was du dich fürchtest“, meinte er dann mit einem schalkhaften Lächeln. „Ich möchte dir jetzt gerne einen Kuss geben. Würde dir das etwas ausmachen?“
Seine Worte brachten sie fast aus dem Tritt. Mit belegter Stimme erkläre sie: „Du machst Witze, Michael. Ich halte das für keine gute Idee.“
„ Dass ich dir einen Kuss geben möchte? Für mich ist das die beste Idee, die ich je hatte. Schließlich liebe ich dich ja schon mein ganzes Leben lang.“
Das Blut rauschte auf einmal in ihren Ohren. Wie kam es, dass sie sich plötzlich so beängstigend
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