Wer bricht das Schweigen (German Edition)
mit fremd klingender Stimme.
Es vorging eine ganze Weile, bis er sich zu einer Antwort aufraffen konnte. „Nichts, absolut nichts“, behauptete er und erhob sich, um zum Fenster zu gehen. „Auf jeden Fall nichts, bei dem mir irgend jemand helfen könnte“, sagte er dann leise, ohne sich noch einmal zu ihr umzuwenden.
Das war es dann wohl, sagte sich Janina, und kämpfte eisern dagegen an, auch noch in Tränen auszubrechen. Wie konnte er ihr nur so weh tun? Sie hatte doch zumindest ein Recht auf eine Erklärung. Hilflos stand sie da, starrte auf seinen Rücken und fragte sich, wie es jetzt weitergehen sollte. Ahnte Michael wenigstens, wie weh ihr sein Verhalten tat? Vor wenigen Stunden erst hatte er ihr ewige Liebe geschworen. Janina drängte es danach, zu ihm hinzugehen, und ihm zu sagen, dass sie seinen Kummer mit ihm teilen wollte.
Sie gab sich auf einmal einen Ruck. Wenigstens ihren Stolz wollte sie sich erhalten, darum musste sie jetzt gehen. Was war das für eine Liebe, wenn das Vertrauen fehlte? Wenn Michael ihr nichts zu sagen hatte, dann war es eben vorbei. Ein wunderschöner Traum war ausgeträumt. Er hatte nicht einmal die Nacht überstanden.
Leise ging sie hinaus. Sie durfte jetzt nicht weinen, das hatte Zeit bis sie daheim in ihrer Wohnung war. Eine Lehrerin, die weinend aus der Arztpraxis kam, würde für längere Zeit die Gemüter der Dorfbewohner bewegen, darum musste sie sich zusammennehmen.
Janina warf einen Blick auf die Haushälterin, die noch immer unbeweglich auf ihrer Bank saß und scheinbar ins Leere starrte. Eigentlich sah die alte Frau jetzt mehr danach aus, als ob sie fieberhaft über irgendetwas nachdachte. Ich werde es wohl nie erfahren, und es geht mich auch nichts mehr an, stellte Janina verbittert fest, während sie sich eilig an ihren Heimweg machte.
* * *
„Ich habe Ihnen eine Linsensuppe gemacht, Herr Doktor. Die dürfen Sie mir aber nicht wieder stehen lassen. So können Sie doch nicht weitermachen. Irgendwann verhungern Sie sonst noch.“
Der Arzt schaute nicht einmal auf, als seine Haushälterin mit einer Suppenterrine hereinkam. Er hatte einige Zeitungen vor sich ausgebreitet und schien darin nach etwas zu suchen. „Haben Sie das Schild an der Tür angebracht, Frau Krämer?“, fragte er beiläufig.
„ Natürlich! Sie haben es mir doch aufgetragen, Herr Doktor. Soll ich es wieder wegnehmen?“, erkundigte sie sich hoffnungsvoll.
„ Das Schild muss bleiben. Die Praxis bleibt geschlossen bis ein Nachfolger gefunden ist“, sagte er unnachgiebig.
„ Und das finden Sie richtig, Herr Doktor Baumann?“, empörte sich die alte Frau. „Denken Sie denn nicht an die armen Leute, die jetzt nicht wissen, wohin sie mit ihren Wehwehchen gehen sollen?“
„ In Windsheim gibt es gleich mehrere Ärzte. Ich habe schon jemanden in Aussicht, der sich für die Praxis interessiert.“
„ Und bis dahin müssen die Leute den weiten Weg nach Windsheim fahren“, stellte die Haushälterin fest. „Frau Merkle hat sich schon bitter bei mir beklagt, dass sie lediglich wegen einer Spritze jeden Tag die weite Strecke mit dem Bus fahren muss. Können Sie das verantworten, Herr Doktor? Die arme Frau kann ihre viele Arbeit so kaum noch bewältigen.“
„ Eine Weile muss sie eben noch durchhalten,“ antwortete er unerbittlich.
„ Und an mich denken Sie natürlich gar nicht.“ Die alte Frau war noch lange nicht so weit, einfach aufzugeben. „Glauben Sie, ich will mich auf meine alten Tage noch an ein neues Gesicht gewöhnen? Mich wieder auf ganz neue Schrullen einstellen müssen? Wir sind doch immer ganz gut miteinander ausgekommen, oder sehen Sie das anders?“
„ Es tut mir ja auch leid, dass es so gekommen ist, Frau Krämer, aber mein Entschluss steht fest. Ich gehe weg aus Diebach. Wohin, kann ich Ihnen im Augenblick auch noch nicht sagen. Darüber muss ich noch nachdenken. Und jetzt muss ich weiter diese Anzeigen hier durchsehen.“
„ Sie müssen etwas essen, Herr Doktor.“ Die Haushälterin hob den Deckel von der Terrine, damit ihm der Duft in die Nase stieg. „Riechen Sie doch einmal daran. Ich habe auch einen gerauchten Bauchspeck mitgekocht.“
„ Nehmen Sie das gleich wieder mit, Frau Krämer. Ich will das nicht haben.“
Sein Tonfall klang so entschieden, dass sie nicht mehr zu widersprechen wagte. „Dann eben nicht“, sagte sie grollend, riss die Terrine hoch, so dass sie leicht überschwappte und verließ dann
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