Wer einmal auf dem Friedhof liegt...
„Ist Yolande da? ... 1 Ach ja? ... Gut... Ich ruf zurück.“
Sie legt auf.
„Yolande ist weggegangen und kommt
erst im Laufe des Nachmittags wieder. Heute ist Donnerstag... Rita hat Besuch.“
Régine lächelt vieldeutig. „Wir können also in aller Ruhe zu Mittag essen. Gehn
wir?“
Wir gehen.
* * *
„Wenn Sie nichts Besseres vorhaben“,
sagt Régine, als wir aus dem Restaurant kommen, „lade ich Sie zu einem Wodka zu
mir ein.“
Ich nehme ihre Einladung an. Vor dem
Aufzug begegnen wir einer eleganten Frau mit kastanienbrauner Haarpracht und
anthrazitschwarzen Augen.
„Guten Tag, Ré“, sagt die Hübsche mit
unverkennbar spanischem Akzent.
„Guten Tag“, grüßt Régine zurück.
Das Stakkato der hohen Absätze
entfernt sich zum Ausgang. Hört sich an wie ein heißer Flamenco.
„Werden Sie ‚Ré’ genannt?“ frage ich
im Aufzug lächelnd.
„Ach, das ist so’n Tick von ihr. Sie
muß alle Namen verstümmeln.“
„Darf man das mit ihrem auch machen?“
„Wissen Sie denn, wer das ist?“ fragt
Régine überrascht zurück.
„Consuelo Mogador, nehme ich mal an.“
„Ja. Sie kennen sie?“
„Hab eben im Telefonbuch
rumgestöbert.“
Im Appartement meiner Freundin
sprechen wir dem angekündigten Wodka zu.
„Yolande war also die Geliebte von
Désiris?“ beginne ich.
„Ja.“
„Und er hat sie ausgehalten?“
„Ja.“
„Dann hatte er also das nötige
Kleingeld?“
„Klar. Hat ihr sogar ein Auto
geschenkt. Sicher, er hat in der Branche gearbeitet und Rabatt gekriegt, aber
trotzdem...“
Régine ist sehr gesprächig. Sie
beschreibt mir den Wagen, einen Tallemet, neuestes Modell. Ich bohre weiter:
„Haben Sie Désiris auch gekannt?“
„Ich war dabei, als sie sich
kennenlernten. Auf einer kleinen Party von Consuelo... Ich weiß nicht mehr, aus
welchem Anlaß sie die gegeben hat... Ihr Freund hatte was zu feiern, glaub ich.
Monsieur Désiris war eingeladen, Yolande und ich auch.“
„War er ein Freund von Mademoiselle
Mogador?“
„Nein. Consuelos Freund kannte ihn.“
„Macht der auch in Autos?“
„Weiß ich nicht. Er reist viel rum.“
„Kannten Sie Désiris gut?“
„Bin ihm zwei- oder dreimal begegnet,
im Aufzug oder auf der Treppe. Ich glaub, er fand das Haus hier zu unruhig, zu
familiär. Jedenfalls hat er für Yolande eine Villa gemietet, in der Rue
Rochefort, am Parc Monceau. Doch, er war wohl gut bei Kasse. Na ja, nicht die
ganze Villa hat er gemietet, aber immerhin... Mutter Mèneval hat bestimmt ‘ne
anständige Miete kassiert...“
„Wer ist denn Mutter Mèneval?“
erkundige ich mich. „Huguette Mèneval. Haben Sie nicht von ihr gehört? Mèneval
oder de Mèneval. War früher mal ‘ne bekannte Edelnutte.“
„Das muß vor meiner Zeit gewesen
sein“, bemerke ich lächelnd.
Régine lächelt zurück.
„Ja, stimmt. Entschuldigen Sie, ich
wollte Sie nicht älter machen, als Sie sind. Die Gräfin ist jetzt sicher schon
achtzig oder so.“
„Gräfin?“
„Ja, bei uns heißt sie Gräfin. In
ihrer großen Zeit nannte sie sich Huguette de Mèneval.“
Alter Schlafzimmeradel!
„Sind Sie eine Freundin der Gräfin?“
frage ich weiter.
„Wir sind alle ihre Freundinnen. Sie
kommt uns oft besuchen. Wir erinnern sie an ihre Jugend, sagt sie immer. Sie liest
uns aus den Karten, gibt uns Tips und Ratschläge. Natürlich hören wir nicht
hin, aber wir haben viel Spaß mit ihr. Manchmal machen wir uns auch über sie
lustig. Aber vielleicht ist das falsch... Schließlich hat sie’s richtig
gemacht. Hat’s verstanden, ihr Geld zusammenzuhalten. Sie jedenfalls hat’s
nicht zum Fenster rausgeworfen, das können Sie mir glauben. Feine Leute haben
bei ihr verkehrt, Politiker, Bankiers... Ein Parlamentsmitglied soll sich wegen
ihr sogar umgebracht haben. Die République hat ganz schön gewackelt...
Na ja, jedenfalls gehört ihr jetzt die Villa in der Rue Henri-Rochefort, dazu
bestimmt noch ‘n hübsches Aktienpaket und viel Bargeld...“ Das Leben einer
berühmten Kurtisane ist immer höchst interessant. Aber ich komme wieder auf Yolande
zu sprechen.
„Meinen Sie, Désiris hat sich wegen
Yolande umgebracht?“ frage ich.
„Yolande hat’s erst aus der Zeitung
erfahren. Das war vielleicht ein Schlag für sie! Übrigens hat sie damals nicht
mehr hier gewohnt. Kam nur von Zeit zu Zeit, mit der Gräfin.“
„Warum ist sie eigentlich nicht zur
Polizei gegangen?“
„Wer?“
„Yolande.“
„Und was sollte sie da?“
„Sagen, daß sie
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