Wer einmal auf dem Friedhof liegt...
Doppelgängerin informiert. Eigentlich könnten Sie an dem Gespräch der
beiden schönen Frauen teilnehmen. Aber Sie haben Angst, daß Yolande Sie wiedererkennt
und über Désiris zu reden beginnt.“
„Ja. Dann wären einige Erklärungen
fällig gewesen.“
„Eben. Dany Darnys ist zwar keine
Intelligenzbestie, aber sie hätte auf die Idee kommen können, daß Sie sich nur
sozusagen aus Versehen bei ihr eingeschlichen haben. Und vielleicht hätte sie
sich an meine Frage erinnert, ob ihre angeblichen Vergewaltiger damals nicht von ,Iris’ , sondern von ,Désiris’ gesprochen hatten. Wir
haben nämlich vorgestern über den... äh... Vorfall geredet. Spätestens dann
wären Erklärungen von Ihrer Seite fällig gewesen, wie Sie sagen. Übrigens...
Ich nehme mal an, daß diese beiden Männer nicht von Ihnen geschickt worden
waren, oder?“
„Was denken Sie von mir!“ protestiert
unser Gastgeber.
„Ach, ich habe nur gefragt. Man darf nichts
außer acht lassen. Alte Privatflic-Weisheit... Man könnte meinen, die
Konkurrenz hat sich eingemischt, hm? Denkbar wäre nämlich, daß andere Herren
aus der Branche genauso kombiniert haben wie Sie und hinter Désiris’ ehemaliger
Freundin herwaren...“
„Möglich“, sagt Viénot stirnrunzelnd.
„Ganz bestimmt sogar. Anders läßt sich der Überfall auf Dany kaum erklären.
Deswegen bin ich sofort zu dieser Yolande geeilt. Wer zuerst kommt, mahlt
zuerst. Aber das Mädchen war nicht zu Hause. Das jedenfalls hat ihre
Mitbewohnerin behauptet, eine... äh...“ Er zückt sein Notizbuch. „...Rita
Marson. Ich hab meine Visitenkarte unter der Tür durchgeschoben. Sie hat sich
nämlich geweigert, mir zu öffnen...“
„Haben Sie keine Idee, wer das sein
könnte?“ frage ich und zünde meine Pfeife an.
„Wer?“
„Wer aus der Automobilbranche könnte
sich außer Ihnen für Désiris’ Erfindung interessieren?“
„Keine Ahnung.“
„Na gut, das geht mich ja auch nichts
an.“
Viénot lacht laut auf.
„Sie haben Humor!“ ruft er. „Was Sie
nichts angeht, interessiert Sie nicht?“
„Nein, Monsieur! Der Schein trügt. Ich
kümmere mich nie um die Angelegenheiten anderer Leute. Mir ist es zum Beispiel
scheißegal, ob die Tochter der Concierge mit dem Maler aus der sechsten Etage
ins Bett geht. Das ist sozusagen ihr Bier... oder seins. Mein Bier ist nur, was
mit einem Fall zu tun hat, mit dem ich... äh... zu tun habe. Ich will nämlich
nicht der Prügelknabe sein, der für seine lichtscheuen Klienten die Rübe
hinhält. Für Sie, um ein aktuelles Beispiel zu nehmen. Deswegen sitze ich hier
und versuche, etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Verdammt nochmal! Hätten Sie
nicht einfach direkt zu mir kommen und mich bitten können, die Adresse des
Fotomodells rauszukriegen? Ach ja, richtig! Sie wollten nicht im Rampenlicht
stehen. Warum eigentlich nicht?“
„Tja... Jetzt, wo Sie sowieso alles
ans Licht gezerrt haben, mag es Ihnen kindisch vorkommen. Ich fürchtete
Indiskretionen... Daß man sich fragen würde, warum ich der Ex-Geliebten von
Désiris hinterherlief und so...“
„Mit anderen Worten, Sie wollten nicht
in den Verdacht kommen, auf der Jagd nach dem revolutionären Motor zu sein,
stimmt’s?“
„Genau.“
„Weil Sie aus der fremden Erfindung
eigenes Kapital schlagen wollen?“
„Nun ja...“ Der findige
Erfindungsjäger zappelt auf seinem Sessel hin und her. „So brutal würde ich das
nicht aus-drücken.“
„Brutal oder nicht, der Trick bleibt
derselbe. Oh, ich will nicht als Moralapostel auftreten. Ihre Absichten gehen
mich nämlich mal wieder nichts an. Mademoiselle Darnys hat mich bezahlt, damit
ich ihre Yolande ins Haus bringe. Für mich ist der Fall gegessen. Und wenn Sie
von Yolande profitieren wollen, bitte schön!“
Ja, geschissen! Von Yolande
profitieren? Wie denn? Wann denn? Wo mag das Mädchen im Moment wohl sein?
„Das wär’s dann, Monsieur Viénot! Gute
Nacht.“
Ich stehe auf. Zavatter gähnt und
steht ebenfalls auf. Wir geben dem Hausherrn die Hand. Eine warme Hand mit
festem Druck. Die Hand eines Ehrenmannes. Davon gibt es viele in Paris. Leute,
die einen schief ansehen, weil man Schulden macht, kein Urteil über die Tochter
der Concierge fällt, nicht zur Wahlurne geht oder den Hut nicht abnimmt, wenn
ein Trauerzug vorbeikommt. Mit solchen Anarchisten möchten die ehrenwerten
Herren (und Damen!) nichts zu tun haben. Sie begnügen sich damit, den Fiskus und
den Zoll zu bescheißen, auf Kosten anderer zu leben und
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