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Wer einmal lügt

Wer einmal lügt

Titel: Wer einmal lügt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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Hoffnung auf Heilung gab, taten die Pfleger in der zweiten Etage alles dafür, den Patienten das Leben so angenehm wie möglich zu machen, indem sie die »Validationstherapie« anwandten, was im Prinzip bedeutete, die Leute in ihrem Glauben zu bestätigen. Wenn also eine Patientin glaubte, sie wäre die zweiundzwanzigjährige Mutter eines Neugeborenen, ließen die Pfleger sie ein »Baby« – eine Puppe – hätscheln und säugen und bewunderten es wie Verwandte, die zu Besuch kamen. Eine andere Frau glaubte, sie wäre schwanger, also fragten die Schwestern sie immer wieder, wie lange es noch dauerte und ob sie lieber einen Jungen oder ein Mädchen hätte und so weiter.
    Megan sah Agnes ins angsterfüllte Gesicht. Noch vor ein paar Jahren war Agnes so aufgeweckt gewesen – hatte komische, zum Teil auch beißende und wunderbar derbe Bemerkungen gemacht. Eines Abends, als die beiden Frauen einmal ziemlich viel getrunken hatten, hatte Megan ihr sogar ein paar Wahrheiten aus ihrer Vergangenheit erzählt – aber natürlich bei weitem nicht alles. Es war nur ein kleiner Hinweis, dass es dort mehr gab, als auf den ersten Blick zu sehen war. Worauf Agnes gesagt hatte: »Ich weiß, Schätzchen. Wir haben alle unsere Geheimnisse.« Sie hatten nie wieder darüber gesprochen. Und als Megan es noch einmal versuchen wollte – tja, da war es zu spät gewesen.
    »Mir geht’s besser«, sagte Agnes. »Du kannst ruhig wieder gehen.«
    »Ich hab noch etwas Zeit.«
    »Du musst doch gleich die Kinder zur Schule schicken, oder?«
    »Die sind alt genug und kriegen das allein hin.«
    »Sind sie das?« Sie legte den Kopf auf die Seite. »Megan?«
    »Ja?«
    »Was soll ich machen, wenn er heute Nacht wiederkommt?«
    Megan musterte das Nachtlicht. »Wer hat das ausgeschaltet?«
    »Das war er.«
    Megan überlegte. Validationstherapie. Wieso auch nicht? Vielleicht gab das einer verängstigten Frau ein bisschen Sicherheit? »Ich hab was mitgebracht, das vielleicht helfen könnte.« Sie stand auf, griff in ihre Handtasche und zog etwas heraus, das wie ein Wecker mit Digitalanzeige aussah.
    Agnes sah sie verwirrt an.
    »Das ist eine Überwachungskamera«, sagte Megan. Sie hatte sie in einem Spy Store im Internet gekauft. Natürlich hätte sie einfach behaupten können, dass es eine Überwachungskamera war – schließlich basierte die Validationstherapie nicht auf Ehrlichkeit –, aber warum sollte sie arglistig handeln, wenn es nicht nötig war? »Damit können wir den Bastard auf frischer Tat ertappen.«
    »Danke«, sagte Agnes mit Tränen – der Erleichterung? – in den Augen. »Ich danke dir, Megan.«
    »Schon gut.«
    Megan richtete die Kamera aufs Bett aus. Sie enthielt eine Zeitschaltuhr und einen Bewegungsmelder. Agnes’ Anrufe kamen immer gegen drei Uhr morgens. »Pass auf«, erklärte Megan, »ich stell die Zeitschaltuhr so ein, dass die Kamera von neun Uhr abends bis sechs Uhr morgens in Betrieb ist, okay?«
    »Deine Hände«, sagte Agnes.
    »Was ist?«
    »Sie zittern.«
    Megan sah hinunter. Agnes hatte recht. Sie traf kaum die Knöpfe.
    »Wenn er hier ist«, flüsterte Agnes, »fangen meine Hände auch an zu zittern.«
    Megan trat wieder ans Bett und nahm ihre Schwiegermutter noch einmal in den Arm.
    »Geht es dir genauso, Megan?«
    »Was geht mir genauso?«
    »Hast du auch Angst? Zitterst du auch, weil du Angst vor ihm hast?«
    Megan wusste nicht, was sie darauf sagen sollte.
    »Du bist in Gefahr, stimmt’s, Megan? Kommt er dich auch besuchen?«
    Megan wollte die Frage verneinen, etwas Beruhigendes sagen und ihrer Schwiegermutter versichern, dass es ihr gut ginge. Doch dann brach sie ab. Sie wollte Agnes nicht belügen. Warum sollte Agnes glauben, dass sie die Einzige wäre, die jemals Angst hatte?
    »Ich … ich weiß nicht«, sagte Megan.
    »Aber du hast Angst, dass er zurückgekommen ist, um dich zu holen?«
    Megan schluckte, weil sie an Stewart Green und das Ende denken musste. »Ja, das ist wohl so.«
    »Das brauchst du nicht.«
    »Nicht?«
    »Nein.«
    Megan versuchte zu nicken. »Okay. Ich mach dir einen Vorschlag. Ich hab keine Angst, wenn du keine hast.«
    Aber Agnes runzelte die Stirn und wischte den herablassenden Vorschlag beiseite. »Das ist was anderes.«
    »Wieso?«
    »Du bist jung«, sagte Agnes. »Du bist stark. Du bist zäh. Du hast auch schwere Zeiten durchgemacht, oder?«
    »Genau wie du.«
    Agnes ignorierte die Bemerkung. »Du bist keine alte Frau. Du bist nicht ans Bett gefesselt und musst hilflos und zitternd

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