Wer fuerchtet sich vor Stephen King
als Miserys größter Fan, ist entrüstet, dass Sheldon, der die Nase voll vom Schnulzenschreiben hat, Misery sterben ließ, verbrennt das Manuskript seines neuen Buches und zwingt den wehrlosen Sheldon – seine Beine sind gebrochen –, ein neues Misery-Buch zu schreiben, in dem er den Tod der Heldin auf glaubwürdige Weise rückgängig macht. Sie verleiht ihrer Forderung Nachdruck, indem sie Sheldon die Schmerztabletten entzieht und ihn, als er zu fliehen versucht, Stück um Stück amputiert. Erst als Sheldon seinerseits das fertiggestellte neue Misery-Manuskript verbrennt, gelingt es ihm, die Krankenschwester, die mittlerweile auch zur Polizistenmörderin geworden ist, zu überwältigen und zu töten.
MISERY hat zwar einen in sich geschlossenen Spannungsbogen, der auch funktioniert; Paul Sheldon weiß, dass er gegen eine Massenmörderin kämpft, und versucht, sein Leben zu verlängern, indem er seine Romangestalt Misery weiterleben lässt. Die Misery-Sequenzen symbolisieren Sheldons Kampf; zuerst schreibt er auf der Schreibmaschine, die jedoch immer weniger funktioniert, und trägt dann zuerst die fehlenden Buchstaben nach und schreibt schließlich mit der Hand weiter. Diese Passagen sind nicht nur eine Satire auf die Romance-Schinken – wie dieses Genre der dickleibigen Liebesromane für Frauen in den USA heißt –, sondern gehören auch wesentlich zur Handlung. Dennoch strapaziert King die Bereitschaft seiner Leser, ihm Sheldons Sieg abzukaufen; hier wirkt er einfach zu unrealistisch.
Vielleicht wollte King seinen zahlreichen „größten Fans“ mitteilen, dass sie ihm auf die Nerven gehen; man könnte MISERY auch als ersten Teil einer „Autorentrilogie“ sehen, die mit STARK – THE DARK HALF fortgesetzt und mit „Das heimliche Fenster, der heimliche Garten“ abgeschlossen wurde.
KING ALS ROMANGESTALT
Stewart O’Nan ist ein Freund von Stephen King; gemeinsam schrieben die beiden auch FAITHFUL, das Buch über die Season, in der die Boston Red Sox die „World Series“ im Baseball gewannen.
In seinem Roman DIE SPEED QUEEN sitzt Margie Standiford in der Todeszelle und spricht ihre Erinnerungen auf Band – für Stephen King, den „König des Horrors“, der daraus ein Buch machen soll, dessen Tantiemen ihrem Kind zugutekommen sollen.
King tritt in diesem Buch zwar nicht als Protagonist auf, doch Margie erwähnt immer wieder seine Bücher und Charaktere daraus, die sie gern zu Vergleichen heranzieht. Der Roman selbst beschreibt eindrucksvoll, wie Margie auf die schiefe Bahn gerät und immer schneller einer Katastrophe entgegenrast. Eine kleine, schmutzige Geschichte.
Stewart O’Nan
DIE SPEED QUEEN, 1998
(THE SPEED QUEEN, 1997)
Lizenzausgabe Büchergilde Gutenberg, Frankfurt/Wien o.J., 254 Seiten
Erst 2007 erschien dann der „letzte Bachman-Roman“, ein bis dahin unveröffentlichter Text, den King 1972/73 schrieb und über 30 Jahre später wiederfand und überarbeitete. Es ist die Geschichte des zurückgebliebenen Clayton Blaisdell jr., Blaze genannt, als Erwachsener ein Bär von Mann, der aber von Anfang an keine Chance hatte: vom Vater misshandelt, abgeschoben in die Staatsfürsorge, früh auf die schiefe Bahn geraten, mehrere Gefängnisstrafen. Sein einziger „Freund“ ist George Rackley, der ihn zwar als Komplizen für kleinere und größere Gaunereien missbraucht, aber für eine gewisse Stabilität in seinem Leben sorgt.
Zu Beginn des Romans ist George schon tot, erstochen bei einem illegalen Kartenspiel. Doch er ist noch immer bei Blaze, zumindest in dessen Kopf, und unterstützt ihn bei einer gemeinsam geplanten Kindesentführung. Natürlich geht alles schief, Blaze hat weniger Chancen denn je. Doch er entdeckt seine Menschlichkeit und entwickelt Zuneigung für das Baby, das er entführt hat, was alles nur noch komplizierter macht.
King arbeitet in diesem Roman exzessiv mit Rückblenden, und die von ihm beschriebenen Szenen aus Blazes Leben sind die interessanteren Passagen des Romans. Doch man merkt QUAL an, dass ein junger Mann am Beginn seiner Karriere den Roman schrieb. Der ältere King hat gewisse stilistische Schwächen und Eigenarten nicht verbessert und auch nichts an der Konzeption verändert: Irgendwie „zündet“ der Roman nicht, und das Ende der kleinen, schmutzigen Geschichte verpufft irgendwo ohne einen Knaller – und ohne wirklich überzeugen zu können.
Somit ist QUAL nicht mehr als eine interessante Fußnote in Kings Schaffen. Immerhin tat der Autor mit der
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