Wer hat Angst vor Beowulf?
war zusehends schmuddeliger geworden und roch nach ihrem Geschmack mittlerweile zu sehr nach geschmortem Kaninchen.
»Und wohin fahren wir jetzt?« fragte sie, während alle in den Wagen stiegen.
»Nach Hause«, entgegnete der König.
Hildy runzelte die Stirn. »Meinen Sie Rolfsness? Das Schiff? Ich glaube nicht, daß …«
»Nein, nein!« widersprach der König. »Ich sagte, nach Hause.«
»Und wo ist das?«
»Da.« Der König, der das Grundprinzip von Meßtischblättern bereits begriffen hatte, zeigte auf eine Stelle nordöstlich von Bettyhill.
Hildy schaute noch einmal auf die Karte; es war eine weite Strecke bis dorthin, und sie hatte es satt, ewig Auto fahren zu müssen, doch der König beharrte darauf. Nachdem sie den Wagen vollgetankt hatte (Hildy besaß zwar mittlerweile genug Esso-Gutscheine für eine neue Taschenlampe, aber darüber konnte sie sich jetzt den Kopf nicht zerbrechen), machten sie sich auf den Weg. Zunächst nahmen sie die Straße nach Thurso, fuhren an dem mittlerweile in Betrieb genommenen Atomkraftwerk vorbei und bogen schließlich nach Rolfsness ab. Hildy fragte sich, warum die ganze Gegend so verlassen wirkte.
Schließlich überquerten sie den Swordly Burn und fuhren in die vom König angezeigte Richtung. Entlang der schmalen Straße standen etliche Häuser, aber sie entdeckten einen kleinen Hain, in dem der Lieferwagen versteckt werden konnte. Sie verstauten sämtliche Sachen in Rucksäcken, und die Helden wickelten ihre Schilde und Waffen in Decken ein. Nach Hildys Auffassung sah die Gruppe wie eine Mischung aus einer Mount-Everest-Expedition und einer mit Freßpaketen ausgestatteten Horde Rennbahnbesucher aus.
Sie hatten sich bereits etwa eine Meile von der Straße entfernt, als sie auf ein schmales Kap stießen, von dem man die Bucht von Swordly überblicken konnte. Direkt vor ihnen fielen die Felsen steil bis zum grauen und unfreundlichen Meer ab, und Hildy fühlte sich zusehends unwohler, zumal sie von Schwindelanfällen geplagt wurde. Es gab nur einen primitiven Pfad, der über einen breiten Felsgrat in Richtung Norden und somit praktisch ins Nichts führte. Hildy hoffte nur, daß der König wußte, wohin er gehen wollte.
Plötzlich kroch der König auf allen vieren vom Pfad weg und schien im Felsgestein zu verschwinden. Die Helden und der Zauberer folgten ihm und ließen Hildy allein auf der Felsspitze zurück. Sie fühlte sich hundeelend und alles andere als heldenmütig und erinnerte sich schaudernd an die Spaziergänge mit ihrem Vater in ihrer Kindheit.
»Nun kommen Sie doch endlich!« hörte sie die donnernde Stimme des Königs, ohne diese orten zu können.
»Wo sind Sie?« rief sie verzweifelt.
»Hier!«
Die Stimme schien direkt unter ihr zu sein. Hildy versuchte nach unten zu blicken, aber die Knie wurden ihr weich, und sie besann sich eines Besseren. Nach einer endlos erscheinenden Zeit tauchte der König schließlich wieder auf und winkte sie zu sich hinüber.
»Von hier aus führt ein schmaler Gang direkt in die Festung hinab. Achten Sie darauf, wohin Sie treten. Ich hab’s nie geschafft, diese Stufen begradigen zu lassen.«
Dieses Mal nahm Hildy ihren ganzen Mut zusammen und folgte dem König. Vor ihr befand sich eine offenstehende Luke im Fels, nicht viel größer als ein Bullauge, durch die sie hindurchschlüpfte.
»Das ist die Hintertür«, weihte der König sie ein und zog die Luke hinter sich zu. Die steinerne Luke schloß sich mit einem leisen Klicken, und plötzlich war es stockdunkel. Der Gang war nur kurz und mündete in einer Art Amphitheater, das auf dem Felsrand thronte. Direkt unter ihnen befanden sich Ruinen eines altertümlichen Mauerwerks, die aber allesamt aus einer späteren Periode – dem fünfzehnten oder vielleicht sechzehnten Jahrhundert – stammten. Das Amphitheater selbst, hinter dem sich eine natürliche Höhle befand, war nicht viel mehr als eine leichte Abänderung des ursprünglichen Felsgesteins.
»Wie ich sehe, ist der vordere Eingang zerstört worden«, seufzte der König. »Trotzdem ist das kein großer Verlust.« Er blickte aufs Meer hinaus und wandte sich wieder an Hildy. »Wenn man nicht weiß, wonach man sucht, ist dieser Ort nur von See aus zu sehen. Da der vordere Zugang nicht mehr existiert, kommt man nur noch durch den Eingang hinein, den wir eben benutzt haben und den man ebenfalls nur finden kann, wenn man ihn kennt. Zwar hat da unten irgend jemand etwas gebaut, aber hier ist es noch genauso wie früher.
Weitere Kostenlose Bücher