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Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Titel: Wer hat Angst vor Jasper Jones? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Silvey
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schriftlichen Geständnissen mir so übel wird, dass ich sie nicht zu Ende lesen kann. Ich klappe das Buch zu. Schaue nach links und rechts. Ich schwanke zwischen Abscheu und Faszination und schlage das Buch wieder auf.
    Sein Foto verschlägt mir die Sprache. Es ist das Gesicht eines kinderfressenden Monsters, ein habichtartiges, asymmetrisches Antlitz mit unheimlichen Augen. Ich muss den Blick abwenden. Genauso stelle ich mir Mad Jack Lionel vor, mit dieser ausdruckslosen Miene, launisch und durchtrieben. Als könnte er jeden Moment anfangen, zu knurren und zuzubeißen.
    Ich blättere die anderen Bücher durch. Sie sind faszinierend und qualvoll. Ich beuge mich dicht über die Seiten, doch irgendetwas macht mich unzufrieden. New York, London, Paris. Das alles scheint so weit weg und so lange her zu sein. Die Fälle sind erfundenen Geschichten ein wenig zu ähnlich, zu vieles wird der Phantasie überlassen.
    In diesem Moment fällt mir das Nedlands Monster ein, und ich begreife, dass er es ist, über den ich etwas erfahren möchte. Was ich am besten in Erinnerung habe, ist, dass er im vergangenen Jahr gehängt wurde, was alle, außer meinem Vater, begrüßten. Von den Ereignissen selbst weiß ich nicht viel.
    Also schiebe ich die Kriminalgeschichten zur Seite und laufe eilig zu den Zeitungsarchiven. Ich verbringe eine Stunde damit, Ausgaben zu sammeln, in denen er auf der ersten Seite erwähnt wird, und türme zu meiner Rechten einen beachtlichen Stapel auf. Mrs. Harvey ermahnt mich streng, sie ja wieder in der richtigen Reihenfolge einzusortieren, aber ich vermute, sie freut sich insgeheim darüber, dass sich endlich jemand ihre Arbeit zunutze macht.
    Ich schleppe die Zeitungen zu meinem Tisch und versuche mich chronologisch in den Fall einzulesen. Von dem lauernden Schatten, der vor drei Jahren an einem einzigen Wochenende fünf Menschen ermordete, zu dem hasenschartigen Mann, den sie schließlich festnahmen und hängten. Es ist grausiger und beunruhigender als die anderen Geschichten, weil es sich um Orte handelt, die ich kenne, und um eine Zeit, an die ich mich erinnern kann. Die Hysterie der Schlagzeilen ist mir unangenehm, obwohl ich den Ausgang der Geschichte kenne.
    Offensichtlich geht es nicht nur mir so. Ich überfliege die Leitartikel und Leserbriefe, die immer heftiger werden, je länger die Verbrechen andauern. Eine fieberhafte Panik vor etwas unsichtbarem Bösem, als wäre Perth nichts anderes als Gotham City. Ich sehe besorgte Einwohner vor mir, die ihre Mantelkrägen umklammern und mit schnellen Schritten dahineilen, während ein kühler Wind ihnen Blätter um die Knöchel wirbelt. Ich lese weiter. Journalisten empfehlen den Leuten, die Türen zu verschließen, raten zu einer Sperrstunde und drängen die Frauen, bodenlange Kleidung zu tragen. Es gibt doppelseitige Artikel über die Absicherung des eigenen Heims, voller Sorgen und wilder Spekulationen. Nirgendwo war man sicher, und ausnahmslos jeder fühlte sich bedroht. Jeder konnte der Nächste sein.
    Und dann erwischten sie ihn. Eric Edgar Cooke, der zurückkam, um sein Gewehr zu holen, und den Gesetzeshütern dabei in die Falle ging. Er muss sich gewundert haben, warum sie so lange gebraucht haben.
    Ich starre auf sein Foto. Auf diesen dünnen, gebeugten Mann, der eine ganze Stadt gequält hat. Den Mann, der sie zur Flucht trieb und gegeneinander aufbrachte. Er hat ein wenig Ähnlichkeit mit dem geprügelten und geschlagenen Boxer Jack Dempsey. Als werde er von Dämonen verfolgt und fühle sich nicht wohl in seiner Haut.
    Dieses Gesicht ist von Geschichten gezeichnet, doch wonach ich wirklich suche, ist das
Warum
. Warum erstach er eine Frau in ihrem eigenen Bett? Warum schoss er einem Mann zwischen die Augen, als dieser ihm die Tür öffnete? Warum? Warum hat er all diese Menschen umgebracht? Ich muss wissen, warum er eine ganze Stadt dazu bringen wollte, sich abzukapseln.
    Kopfschüttelnd lese ich weiter, ohne mich länger für die eigentlichen Verbrechen zu interessieren. Ich finde es merkwürdig, dass die Panik in den Artikeln selbst dann nicht abflaut, als man ihn gefangen und eingesperrt hatte und er sich als kleiner, blasser Schlucker herausstellte. Das Getöse geht trotzdem weiter.
    Allmählich kann ich mir ein Bild von seiner Kindheit und seinem Leben machen. Ich erfahre, dass er wegen seiner Hasenscharte erbarmungslos gehänselt wurde. Erfahre von seiner Einsamkeit. Dass ihn alle außer seiner mitleidigen Mutter im Stich ließen. Von

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