Wer hat Tims Mutter entführt?
Oder
geerbt?“
„Weder — noch. Wir haben kein
Vermögen.“
„Ist ja schrecklich!“ Ediths
schillernder Blick streifte umher wie eine Katze.
„Hast du dich schon
entschieden?“ fragte Mortius.
„Sie meinen wegen der Polizei?
Die lasse ich draußen. Ich bin nicht ganz ungeübt, was Ermittlungen betrifft.
Mein väterlicher Freund ist Kripo-Kommissar, aber zur Zeit leider in Italien —
auf Anti-Mafia-Schulung. Ihm habe ich viel abgeguckt. Außerdem wird man als
Jugendlicher von Profi-Ganoven nicht für voll genommen. Das ist mein Vorteil.“
Mortius lächelte. Der Rotweiße
ließ ein Glucksen hören. Edith Pressler zog die Grübchen ein, verbiß sich
offensichtlich ein Lachen.
Mortius bewegte seine Zigarre,
als dirigiere er einen Militärmarsch.
„Du hast kein Geld. Wie willst
du die Forderung der Kidnapper erfüllen?“
„Ich glaube nicht“, sagte Tim,
„daß es wirklich um das Geld geht. Und deshalb bin ich hier. Deshalb möchte ich
mit Ihnen sprechen.“
Mortius öffnete seine
tiefliegenden grauen Augen etwas weiter. „Ach? Was meinst du damit?“
„Gehen wir mal davon aus, daß
die Kidnapper keine totalen Idioten sind. Dann wissen sie genau: Sie können für
meine Mutter kein Lösegeld erpressen. Weil nichts da ist. Also benutzen sie die
Forderung nur, um das wahre Motiv zu verstecken. Meine Mutter sollte weg vom
Fenster, sollte aus dem Verkehr gezogen werden. Weshalb? Sie ist irgendwem im
Weg, kann ihm — wodurch auch immer — gefährlich werden. Bis hierhin ist für
mich alles klar. Aber nun besteht Auswahl, und ich tappe völlig im dunkeln. Was
weiß meine Mutter? Was hat sie gesehen, erlebt, gehört? Wer muß zu einem so
rigorosen Mittel greifen, um sie mundtot zu machen? Frau Thebes weiß nichts.
Ich habe vor einer Woche zum letzten Mal mit meiner Mutter telefoniert. Sie
machte keinerlei Andeutung und war so fröhlich wie immer. Deshalb fällt das
entscheidende Ereignis, die Entdeckung — oder was auch immer — in die letzte
Woche, auf die letzten fünf Tage. Nein, ich glaube sogar, es war gestern.“
Schweigen breitete sich aus.
Mortius sah seine
Lebensgefährtin an, wechselte dann einen ausdruckslosen Blick mit dem
Rotweißen.
„Du bist ja ein richtiger
kleiner Detektiv“, sagte Edith Pressler.
Es klang, als lobe sie einen
Zweijährigen dafür, daß er nicht mehr in die Hose macht.
„Ich bin 179 cm groß“, sagte
Tim. „Und könnte Ihnen auf den Kopf spucken. Ich spiele nicht den kleinen Detektiv,
sondern ich benutze mein Gehirn. Deshalb“, er wandte sich an Mortius, „nun
meine Frage: Ist es möglich, daß der Grund für dieses Verbrechen im weitesten
Sinne zusammenhängt mit der Neuzeit-Chemie? Gibt es bei Ihnen ein
Betriebsgeheimnis, das man aus meiner Mutter rauspressen will? Könnten es
Forschungsergebnisse sein? Oder... Ich weiß nicht genau, was Sie alles
produzieren.“
Für einen Moment verschlug es
Mortius die Sprache.
Wieder gingen die Blicke
zwischen den dreien hin und her. Keiner hat gesagt, daß ich Platz nehmen soll,
dachte Tim. Eingebildetes Gesindel! Aber ich muß kleine Brötchen backen, sonst
bleibe ich stecken mit meiner Nachforschung.
Mortius legte die Zigarre in
einen Standaschenbecher und ballte dann die Fäuste auf der Armlehne des Sessels.
„Da ist unser kleiner Detektiv
aber völlig auf dem Holzweg“, sagte er - beinahe drohend. „Deine Mutter hat
keinerlei Zugang zu irgendwelchen Betriebsgeheimnissen. Schon gar nicht zu den
Unterlagen unserer Forschungslabors.“
Tim blieb kühl. „Es gibt die
verrücktesten Zufälle.“
„Nicht bei der Neuzeit-Chemie.
Nein, das kann es nicht sein. Ich vermute vielmehr, daß es nur um das Lösegeld
geht.“
„Die Kidnapper könnten auch
fünf Milliarden fordern. Für mich macht es keinen Unterschied.“
„Für mich schon, kleiner
Detektiv. Die Kidnapper kennen mich anscheinend. Es hat sich wohl
rumgesprochen, daß ich keinen meiner Mitarbeiter im Stich lasse, wenn er in Not
gerät. Natürlich hat auch das seine Grenzen. Aber das Leben deiner Mutter ist
mir — eine halbe Million wert.“
Tim starrte ihn an — mit
geöffnetem Mund. Wie war das zu verstehen:... ist mir eine halbe Million wert?
Hatte er richtig gehört?
Die Frau lachte. Es klang
belustigt. Aber in ihren Augen — Schlangenaugen, wie Tim jetzt feststellte —
lag keine Heiterkeit.
„Jetzt siehst du richtig
bescheuert aus, kleiner Detektiv“, perlte ihre Stimme. „Das hättest du wohl
nicht gedacht. Adolf Mortius gibt dir
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