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Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition)

Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition)

Titel: Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maximo Duncker
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schwarzafrikanische Sklaven gegen Kost und Logis und das Versprechen auf ein besseres Leben im nächsten Jahr anbauten, hatte van Harm, von einer so entsetzlichen wie spontanen Furcht gepackt, eines Tages auf dem Wochenmarkt gedacht, bevor er sich von den Ständen dort abwandte. Und seither eben nach jener Devise der Angst einkaufte.
    »Diese dreckigen Schweine haben tatsächlich den Anschlag auf die Redaktion ausgenutzt, um Leute zu entlassen?«, platzte Constanze, fast bebend vor Wut, heraus, als van Harm seinen nur selten von einer ihrer vorsichtigen Nachfragen unterbrochenen Monolog nach einer Dreiviertelstunde beendet hatte. Seine Beichte eher.
    Mittlerweile stand eine Flasche Grappa zwischen ihnen auf dem Tisch, aus der sie sich während van Harms Geständnis jeweils eingeschenkt hatten. Kai gewohnheitsmäßig üppig, Constanze zurückhaltend, als sei der Schnaps eine bittere, aber notwendige Medizin, die ihr helfen könnte, das Supermarkthuhn vom Vorabend mental besser zu verkraften.
    »Ich bezweifle, dass die den Anschlag dafür genutzt haben«, sagte van Harm. »Die Sache stand doch im Prinzip schon fest, als diese McKinsey-Typen zum ersten Mal aufgetaucht sind.«
    »Du nimmst diese beschissenen Verlags-Arschlöcher auch noch in Schutz.«
    Van Harm hatte sie schon lange nicht mehr so ordinär reden hören. Das machte ihn irgendwie …
    Das erinnerte ihn an die späten Achtziger, als sie noch kein Paar, sondern lediglich Kommilitonen gewesen waren. Im selben Literaturseminar gesessen hatten: Rilke. Das war in den frühen Neunzigern gewesen, als sie gemeinsam gegen den ersten Golfkrieg demonstriert hatten. Da hatten sie ihrem Zorn mit sorgsam eingestreuten Wörtern aus der Fäkalsprache Nachdruck verliehen. Was gleichzeitig ihre Verbundenheit mit den einfachen Leuten zeigen sollte. Nicht obwohl sie angehende Akademiker waren, sondern weil .
    Sich daran jetzt zu erinnern war angenehm. An das erste schüchterne Händchenhalten unterm pazifistischen Banner. Das machte van Harm jetzt tatsächlich – scharf.
    »Vielleicht wollten diese als Zeitungsmacher getarnten Dreckskapitalisten auch nur ihre verfickte Versicherung bescheißen.«
    »Wie sprichst du denn eigentlich, Kai?«
    »Na, du solltest dich selber mal hören.«
    Sie tranken die Flasche Grappa aus. Redeten über dieses und jenes, ohne einen einzigen Entschluss zu fassen. Nicht mal darüber, woher sie in Zukunft ihr Essen beziehen wollten. Dann gingen sie – es war halb eins am Mittag, und die Kinder trieben sich irgendwo in der schönen, sonnigen Stadt herum, in dem unbedingten Willen, so spät wie möglich zurückzukehren –, dann gingen sie ins Bett.
    Es sollte das letzte Mal sein, dass sie miteinander schliefen, aber nicht nur deshalb blieb es Kai van Harm länger im Gedächtnis haften, als es vielleicht gut für ihn war.
    Ihre Körper waren älter geworden, die Haut schlaffer, die Fettpolster größer. Was es da sonst noch gab. Alles, was mit einem Körper nach mehr als vierzig Jahren passierte, war auch mit ihren Körpern passiert. Und trotzdem erinnerte dieser letzte Beischlaf van Harm an jene Zeit, als sie beide Anfang zwanzig gewesen waren. Die Unsicherheit der Lebenssituation, jedenfalls was Kai betraf, war plötzlich wieder da. Eine ganz ähnliche Situation: keine Pläne zu haben, nichts Konkretes im Sinn. Nichts in der Hinterhand. Frei zu sein, wenn man es denn so nennen wollte. Und damals hatte er sich tatsächlich so gefühlt: frei. War er zuversichtlich gewesen, bereit, die Welt zu betreten, um sich eine ihrer reizvollen Möglichkeiten zu schnappen. Und noch eine und noch eine.
    Heute dagegen war er schlaff, hoffnungslos, schwarzsehend. Was zuzugeben er aber an diesem frühen Nachmittag nicht fertiggebracht hatte, weil es die letzten kostbaren Momente mit Constanze ruiniert hätte. Der Alkohol in seinem Blut half ihm, die Wahrheit zu ignorieren, bevor seine betäubende Wirkung gegen Nachmittag verflog und lediglich ein Kater zurückblieb, der größer und allumfassender nicht hätte sein können.

 
    Schlussstrich
    Binsenweisheit: Im Nachhinein weiß man immer alles besser. Hätte van Harm vorher gewusst, wie er sich nach dem Eingeständnis seiner Arbeitslosigkeit aufführen würde, hätte er … Ja, was eigentlich? Noch mehr Gewürze verwendet, noch mehr Salz? Feuchte Erde aus dem Vorgarten an die porentief reinen Supermarktmöhren geschmiert? Er wusste nicht mal das zu beantworten.
    Mit dem Geständnis jedoch war jeder Druck von ihm

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