Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition)
halb geschälte Kartoffel und den Sparschäler in die Spüle, wischte sich die Hände an dem Küchentuch ab, das ihm im Hosenbund steckte, und setzte sich dann zu Constanze an den Tisch. »Ich kann mir denken, woher das stammte.« Van Harm faltete die Hände auf der Tischplatte zusammen.
»Nämlich?«
»Vom Fisch mehl .«
»Was denn für Fischmehl?«
»Mit dem das verdammte Vieh gefüttert worden ist.«
»Du machst Witze, Kai! Die scharren doch nach Regenwürmern. Die werden doch mit Kräutern und Mais gefüttert. Sogar mit Öko-Mais. Hast du doch selbst erzählt.«
»Dieses Huhn war aber nicht vom Wochenmarkt.«
»Sondern?«
»Jedenfalls nicht aus dem Bio-Laden.«
»War es nicht?«
»Nein.«
»Sondern?«
»Sondern …«
»Jetzt sag schon, Kai!«
»Aus dem Supermarkt!«
Für einen Augenblick sah es aus, als müsse sich Constanze übergeben. Aber das konnte auch Täuschung gewesen sein. Sie schluckte jedenfalls einige Male trocken, griff dann aber beherzt zur Milchkaffeeschale, leerte sie in einem Zug und schien damit fürs Erste stabilisiert zu sein.
Der Damm des Schweigens jedoch war mit diesem Geständnis gebrochen. Und bevor van Harm schweren Herzens begann, die Geschichte seiner Entlassung zu erzählen, die Abenteuer auf dem Arbeitsamt schilderte, von den erfolglosen Bewerbungen berichtete und den Artikeln, die er anderen Blättern vergeblich angeboten hatte, und vor allem von den qualvollen Stunden, in denen er bei offener Arbeitszimmertür so getan hatte, als würde er schwer arbeiten … bevor er all dies der staunenden Constanze zum Besten gab, war er ihr für ein paar andächtige Momente dankbar, dass sie wenigstens heute darauf verzichtete, eine emotional aufgewühlte Ansprache gegen das Grauen der Massentierhaltung anzustimmen. Wie sie es bei anderer Gelegenheit mit Sicherheit getan hätte.
Sie sah ihn nur so unendlich traurig an, während er dasaß und nicht wusste, wie er mit einer Erklärung beginnen konnte. Schien zu ahnen, dass die Sache ernst war, dass van Harm nicht einfach aus Jux und Dollerei ein Huhn im Supermarkt gekauft, zubereitet und ihr zum Verzehr vorgesetzt hatte. Denn das hatte er noch nie getan. Jedenfalls war es Constanze zum ersten Mal aufgefallen.
Denn ungefähr seit Mitte April hatte Kai das Essen einfach heftiger gewürzt, mehr Chili verbraucht, mehr Knoblauch und auch durchaus mehr Salz. Was nicht unbedingt den Richtlinien einer gesunden Ernährung entsprach, soweit man wusste.
Das Supermarktobst und -gemüse hatte van Harm stets aus den Plastikbeuteln und Styroporschalen geklaubt und so adrett in den jeweiligen Tonschalen, Bambuskörben oder einfach im Kühlschrankfach drapiert, dass es aussah, als käme es frisch vom Feld. Manchmal hatte er sogar die Sprühflasche benutzt, die Constanze zum Befeuchten der Grünpflanzen besaß, so dass Gurken, Salat, Tomaten und Äpfel hinterher aussahen, als seien sie von frischen Tautropfen überzogen. Die Zeit für solche Beschäftigungen war ja unzweifelhaft vorhanden gewesen.
Es war van Harm schon klar: Er hätte all das nicht zu machen brauchen. Sinnvoller wäre es gewesen, Constanze sofort die ganze Wahrheit zu erzählen. Egal, ob er als Trottel oder Verlierer dastand. Sie waren schließlich ein Paar und obwohl schon sehr lange verheiratet, kamen sie doch noch immer gut miteinander aus.
Das Supermarktfleisch, das Plastikgemüse waren ein vorauseilendes Sparen, das van Harm aus Mangel an vernünftigen Handlungsalternativen zu praktizieren begonnen hatte. Schließlich musste er irgend etwas tun, das der veränderten Lage Rechnung trug. Auch die Erlebnisse auf dem Arbeitsamt hatten nicht gerade zu seiner Beruhigung beigetragen, geschweige, dass ein solcher Ort grundlos rachsüchtiger Niedertracht eine auch nur irgendwie geartete Hoffnung sprießen ließ. Auf eine Arbeit etwa, die der gerade verlorenen halbwegs ebenbürtig war. In Anspruch oder Vergütung.
Im Gegenteil: Der erstmalige Anblick des Extra-Wartesaals für all jene, die schon seit mehr als einem Jahr hierherkommen mussten, hatte van Harm minutenlang in eine lähmende Starre versetzt. Hinter Glaswänden saßen diese Unglückseligen. Wie in Quarantäne. Ein Aquarium, grell ausgeleuchtet, damit jeder hineinsehen konnte, der Augen hatte und selbst noch nicht dazugehörte. Ein Bataillon der hängenden Köpfe und eingefallenen Schultern. Rücken an Rücken: keine Lehnen!
Dann lieber Fleisch aus Massentierhaltung. Und Obst von spanischen Großplantagen, das
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