Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition)
diese Anstalt der Demut durchquerten.
Durch eine der vielen Türen, die von einem der zahllosen Flure abging, trat Bruno schließlich ein, kaum, dass er kurz angeklopft hätte. Mit Vorfreude fast, so als erwarte ihn dahinter eine liebe Überraschung. Kai folgte ihm zaghaft in das Büro.
Die Sachbearbeiterin sah von ihrem Monitor hoch, dann sprang sie auf und rief: »Bruno! Schön, dich mal wieder zu sehen!« Fast hörte es sich an wie ein Jauchzen.
Und auch Bruno Zabel strahlte übers ganze Gesicht, als er sich auf den Besucherstuhl fallen ließ, und erwiderte: »Dit Vergnüjen is janz meinerseits. Wie jeht’s dir denn so, meine Kleene?«
»Kann nicht klagen«, sagte die junge Frau, die van Harm von Alter und Erscheinung ein wenig an seine Nachbarin Peggy erinnerte. Sie erhob sich aus ihrem Drehsessel, kam um den Schreibtisch herum und setzte sich leger auf die vordere Kante. »Viel zu tun, na ja, du weißt es ja selbst am besten: die Zeiten eben.«
»Und? Haste wat für mich?«, fragte Bruno, doch statt zu antworten, sah die Frau zu Kai herüber, der an der Tür stehen geblieben war, nachdem er sie lautlos hinter sich zugezogen hatte.
»Ach Mäuschen, der is in Ordnung«, sagte Bruno. »Darf ick bekannt machen: Bianca, meine … na Sie wissen schon: persönliche Ansprechpartnerin . Und das dort an der Tür is Herr van Harm, Journalist aus Berlin, der sich ’ne kleine Auszeit uffm Lande gönnt. Ick hab ihn ein bisschen unter meine Fittiche jenommen, und jetzt wollte er mal sehen, wie es so is im Schobb-Zenter. Weil er dis doch bisher alles nur aus der Zeitung kennt. Dit richtige Leben und so.«
»Ich recherchiere auch für ein Buch«, sagte van Harm schnell und trat einen Schritt nach vorn.
»Ach so«, fuhr Bruno, nun an Kai gewandt, fort. »Bianca ist die beste Freundin von meiner Kleenen jewesen. Die war’n zusammen uff der Schule und uff ’m Gymnasium. Wie Pech und Schwefel war’n die beiden. Bis Nadine dann in den Westen jegangen is, wegen der Arbeit.« Die letzten Worte klangen betrübt, weshalb Kai nicht nach der Art der Arbeit fragen wollte, die Brunos Tochter von hier weggelockt hatte, sondern lediglich nickte.
»Angenehm.«
»Gleichfalls.«
»So, und da dit nu jeklärt is: Haste wat für mich, Biancachen, oder haste mal wieder nüscht?«
»Ach Bruno, nichts Richtiges, wie immer. Höchstens was für einen Euro hier in der Stadt«, sagte Bianca, »aber die paar Jahre bis zu deiner Rente«, fuhr sie fort, ohne Kai dabei aus den Augen zu lassen, was für eine junge Frau Mitte zwanzig eine gehörige Portion Selbstsicherheit voraussetzte, »kriegen wir auch noch ohne diese Maßnahmen rum, oder?«
»Juti.« Bruno stand auf und nahm aus der Innentasche seiner Windjacke einen Packen zusammengefalteter Blätter, um sie Bianca zu reichen: »Meine Bewerbungen , wa? Nur, damit allet seine Ordnung hat.« Man konnte deutlich die Anführungsstriche heraushören, zwischen denen die Bewerbungen klemmten.
»Wir sehen uns dann irgendwann im Dorf, Bruno, ja?«
»Vielleicht schon auf’m Sommerfest vom ollen Popen. Ist ja nich mehr lange hin, dann nehmen wir mal ordentlich einen zur Brust und quatschen ein bisschen. So wie früher, wa?«
»Red nicht immer so respektlos vom Herrn Pfarrer«, sagte Bianca und nahm Bruno zum Abschied kurz in den Arm.
»Juti, meine Kleene«, sagte Bruno und strich Bianca flüchtig übers blonde Haar, so als wäre sie seine verlorene Tochter Nadine.
»Ist das nicht illegal?«, fragte Kai, als sie dieselben Gänge und Flure zurückliefen, die sie eben gekommen waren.
»Wat denn?« Bruno blieb augenblicklich stehen.
»Na, diese Bewerbungen .« Auch Kai sprach die Anführungsstriche sehr deutlich mit. »Die Maßnahmen , um die Sie dank Bianca herumkommen.«
»Nee, nee, nee, dit is nich illegal. Dit nennt sich Zusammenjehörigkeitsgefühl oder wie man früher zu jesagt hätte: Solidarität. Dit kennt Ihr nich so jut bei euch, wa? Außerdem: Ick lass mich doch nich versklaven. Von keinem. Punkt!«
Da van Harm keine Lust hatte auf Grundsatzdiskussionen, egal welcher Thematik, und Bruno Zabels Stimme wieder ins Bedrohliche umzuschlagen drohte, ließ er es vorerst dabei bewenden.
Sie fuhren an den Stadtrand, wo eines dieser sagenhaften Einkaufsparadiese aus dem Acker wuchs, das aus einer Handvoll Billigsupermärkten bestand, die im Halbkreis um einen hektargroßen Parkplatz gruppiert waren.
In einem Getränkeladen kaufte Bruno zwei Kisten Bier und wuchtete sie in den Kofferraum. In
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