Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition)
Haarspitzen: Es waren Janne und Erik.
»Ach du heilige Scheiße«, rief Kai. Im selben Moment legte Bruno auf.
»Bruno?«, schrie Kai in sein Handy. »Bruno?« Aber Bruno war nicht mehr da.
Der Einspieler dauerte vielleicht zweieinhalb Minuten. Neben zig Störchen, ein paar Touristen aus Berlin und Sachsen und sogar aus den alten Bundesländern, war der eigentliche Held des kleinen Filmchens das Gemeindefaktotum, der unentbehrliche Helfer in allen Lebenslagen, der ehrenamtliche Tausendsassa: Bruno Zabel. Es wurde gezeigt, wie er eine der so genannten Storchen-Cams wartete, starre Kameras, von denen mehr als ein halbes Dutzend in der Gemeinde verteilt waren. An hohen Punkten, wie dem Turm des Spritzenhauses der Freiwilligen Feuerwehr in Altwassmuth, waren sie befestigt, auf den Kirchtürmen, von denen es damals noch drei Stück gegeben hatte, an einem Fernmeldemast auf der Zirnsheimer Wiese, auf Haus-und Scheunendächern in allen drei Gemeindeteilen. Meist waren die Kameras auf Horste der Vögel gerichtet, um sie bei Brut und Aufzucht beobachten zu können. Manchmal filmten sie aber auch, wie jene auf der Zirnsheimer Wiese, ein beliebtes Futterrevier der Tiere. Eine nächste Einstellung zeigte Bruno, wie er auf der Webseite der Gemeinde herumklickte und dabei erklärte, was mit dem Bildmaterial geschah. Zum einen wurden sämtliche Aufnahmen aller Kameras live ins Internet übertragen, zum anderen wurden sie auf eigens dafür angeschafften Servern gespeichert, um von Ornithologen der Berliner Humboldt-Universität professionell ausgewertet zu werden. Letzteres, erklärte Bruno, geschehe im Rahmen der EU-Förderung für das Biosphärenreservat Große Zirnsheimer Wiese.
Die letzte Einstellung zeigte ein paar biertrinkende Leute im Sonnenuntergang, neben denen sich ein malerisches Spanferkel auf dem Grill drehte.
»Und hier nun wie versprochen …«, sagte der Moderator, und Kai blickte mit stockendem Atem auf Janne und Erik, die nun dort am Tisch standen, wo vorher Frau Wurst gewesen war, aber statt mit der Begrüßung fortzufahren, drehte sich der Moderator nach hinten um, wo sich ein mittelschweres Getöse anbahnte. Ein Zischen, ärgerliche Stimmen, laute Rufe. Es war offensichtlich, dass dort geschubst und gedrängelt wurde, und schon im nächsten Moment bekam der Moderator einen Stoß, der ihn heftig an die Tischkante drückte, so dass die vier Wassergläser, die darauf standen, umkippten.
Das Nächste, was ins Bild kam, war Bruno Zabels puterroter Querschädel.
»Aber sind Sie nicht …?«, fragte die Moderatorin, die instinktiv einen halben Schritt zur Seite gewichen war, als ihr Kollege nach vorne flog.
»Ja, der bin ick, jenau, jener welcher«, keuchte Bruno wie ein Berserker, und indem er das sagte, packte er Janne am rechten Oberarm und Erik am linken. Kai konnte sehen, dass sein Griff nicht eben sanft war, weshalb Janne jetzt schrie: »Aua, lassen Sie los, Sie Hirni!«
Erik dagegen sagte nur: »Mann, ey!«
Aber Bruno ließ sich nicht beirren, und während er die van-Harm-Sprösslinge aus dem Kameralicht zerrte, brüllte er den Moderator an: »Das sind doch Kinder, Mensch!« An seinem Hochdeutsch konnte man erkennen, dass es ihm ernst war.
Dann waren Bruno und Janne und Erik aus dem Bild verschwunden, der Moderator zupfte sein Sakko zurecht, die Zuschauer stellten sich wieder in geordneten Reihen auf. Das Wasser der vier umgekippten Gläser hatte sich zu einem kleinen Strom vereinigt, der nun gemächlich auf die Kamera zufloss, und die Moderatorin sagte: »Regie? Was machen wir jetzt?«, und sie sah dabei schräg nach oben, als spreche sie zu Gott.
Blaue Flecke
Bruno eskortierte Janne und Erik bis in Kai van Harms Küche. Er hatte ihnen in Vieracker befohlen, sich auf ihre Räder zu setzen, und war ihnen die gesamte Strecke nach Zirnsheim wie ein Aufseher mit seinem Patchwork-Automobil hinterhergefahren. In langsamer, bedrohlicher Geschwindigkeit.
Jetzt standen Janne und Erik in der Küche, ihre T-Shirt-Ärmel über die Schultern zurückgezogen, und präsentierten ihrem Vater die blauen Flecke, die Brunos Klammergriff hinterlassen hatte.
Während Bruno, der ja eigentlich der Retter in höchster Not war, angesichts der kleinen Blutergüsse auf den weißen Teenagerarmen wie bedröppelt auf seinem Stuhl saß und nicht wagte, Kai ins Gesicht zu sehen, stattdessen wie manisch am Etikett der Bierflasche pulte, die er gleich nach der Ankunft erhalten hatte, konnte sich Kai ein heimliches Grinsen
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