Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition)
erkannte er auf Anhieb die Stelle, an der sich seine Kinder zu schaffen gemacht hatten. Er nahm den Spaten und begann dort vorsichtig, den Kompost abzutragen. Er musste nicht lange graben, um das zu finden, was seine Kinder dort verbuddelt hatten: Es waren Jannes schwarze Jeansjacke und Eriks schwarzer Kaschmirpullover, ein Weihnachtsgeschenk von Kais Eltern.
Was wollten seine Kinder damit bloß sagen?
Oder war es tatsächlich ein Experiment der Schule?
Kai verscharrte die Sachen wieder im Kompost, lehnte den Spaten neben die Hacke an den Pflaumenbaum und ging ins Haus zurück.
Er hatte das dringende Bedürfnis, mit jemandem über die Sache zu sprechen. Bruno kam an diesem Punkt nicht infrage. Vielleicht Pfarrer Pagel? Schließlich hatte er sich für Peggy entschieden. Er rief sie an, schilderte seine Eindrücke und wartete gespannt auf ihre Antwort. Sie sagte: »Ick kann mich noch jut erinnern, wie ick die jestrickten Pullover von meiner Oma immer in den Keller jebracht hab. Die kratzigen Dinger mit den hässlichen Zopfmustern. Ick wollte sie nich in den Müll werfen, weil es ja lieb jemeint war von der Oma, aber anziehn wollte ick sie erst recht nich. Also ab damit in den Keller und schön im Jerümpel vergraben: Die Pullis waren nich weg, sie waren aber auch nich da, wenn Mutti sie morgens rauslegen wollte. Ick würd mir da keine Sorjen machen. Dit müsste wat Ähnlichet sein. Ick sag nur: Kaschmir für ’nen Jungen in dem Alter!«
»Okay, Peggy, ich danke Ihnen. Für den Rat, und dafür, dass Sie so geduldig zugehört haben.«
»Ja, denn mach et mal jut, Herr van Harm, und ärger dich bloß nich so über deine Kinder. Denk lieber mal dran, wie de selber in diesem Alter gewesen warst«, sagte Peggy zum Abschied. »Also von mir könnt ick da Jeschichten erzählen! Die willste jar nich wissen.«
»Nee, ich ärgere mich doch gar nicht über die Kinder«, sagte van Harm, »mehr über mich selbst. Und vielen Dank für alles, Peggy.«
Schlechte Nachrichten aus der Idylle
»Schalten Sie mal schnell die Glotze an«, rief Bruno Zabel am späten Nachmittag desselben Tages. Kai, sein Handy unters Kinn geklemmt, ging ins Schlafzimmer rüber und kam der Aufforderung nach. »Und weiter?«
»Regionalfernsehn, drittet Programm!«
»Okay«, sagte van Harm und wechselte den Kanal. Er erkannte sofort, warum Bruno so aufgeregt war. Unter einem weißen Sonnendach aus Zeltplane, auf dem das Senderlogo prangte, standen ein Mann und eine Frau an einer Art eckigem Bartisch. Sie hatten beide seriöse Kleidung an, die der Temperaturen wegen aber etwas aufgelockert schien. Der Mann trug keine Krawatte, und die Frau steckte in einer schulterfreien, wenn auch grauen Bluse. Sie hielten beide jeweils ein Mikrofon mit plüschigem Windschutz in der Hand und führten so etwas wie eine Unterhaltung. Wenigstens taten sie so, denn im Grunde ging es in ihrem gestellten Gespräch nur darum, dem Publikum die Vorgeschichte zu erzählen. Jene Vorgeschichte, die der Grund war, warum sie das Babelsberger Studio, aus dem sie normalerweise wochentags sendeten, verlassen hatten, und nun live in der Brandenburgischen Pampa herumstanden. Und zwar genau in Vieracker, vor der ehemaligen Gutskirche, die bis vor Kurzem noch den Ausstellungsraum des Künstlerhauses beherbergt hatte.
»Ick kann die janze Bande von meim Küchenfenster aus sehen«, schrie Bruno aufgeregt durchs Telefon, während Kai versuchte, sich auf die Sendung zu konzentrieren. Das Bild zeigte abwechselnd die sprechenden Moderatoren, schwenkte aber von Zeit zu Zeit auf eine Großaufnahme der Brandruine im Hintergrund um.
Was sie erzählten, war ungefähr das: Schon seit mehr als fünf Jahren kämen sie mit ihrem Team nach Altwassmuth, um von der Brut der Störche zu berichten und von dem Volksfest, das zu Ehren der Vögel jeden Juni hier gefeiert wurde. Zwar wären die Störche auch in diesem Jahr in großer Zahl nach Altwassmuth gekommen, um sich zu vermehren, doch ein Fest würde es diesmal nicht geben, da die maßgebliche Organisatorin bei einem Brand ums Leben gekommen sei. Der zweite einer Reihe von mysteriösen Bränden, die mit dem Feuer in jener Kirche, die hinter ihnen zu sehen sei, begonnen habe. Zwar seien die Ermittlungen noch nicht so weit fortgeschritten, dass sich grundsätzlich ausschließen ließe, es handele sich bei beiden Bränden um Unglücksfälle, wenn auch um tragische. Eine Friedhofsschändung (an dieser Stelle wurde kurz das Foto eines beschmierten
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