Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen
Bierfreunde sein oder Brauereierben. Nein, es ist gut, wie es ist. Und es soll einfach noch nicht sein. Morgen ist auch noch ein Tag.
»Gehen wir ins Bett?«
»Okay«, antwortet Luisa und trinkt ihr Glas in einem Zug aus.
»Wir müssen ja noch nicht gleich schlafen.«
»Stimmt«, erwidert Luisa bissig. »Wir können auch noch fernsehen.«
Während ich die Rechnung begleiche, geht sie schon mal vor auf unser Zimmer. Als ich ein paar Minuten später dort aufkreuze, liegt meine Freundin mit ihrem extrascheußlichen Schlafanzug im Bett und schläft. Was habe ich jetzt schon wieder angestellt?
Man nehme Wodka und Bitter Lemon aus der Minibar, eine Cohiba aus der Reisetasche und mache es sich auf dem Balkon gemütlich. Für die Jahreszeit sei es zu kalt, habe ich auf der Fahrt zum Flughafen im Radio gehört. Finde ich nicht. Für die Jahreszeit ist es höchstens zu wolkig. Sonst könnte ich jetzt den Mond sehen, ihn anheulen und mich in einen Werwolf verwandeln. Ich hatte mal einen Patienten, der aussah wie ein Werwolf. In früheren Zeiten hätte er viel Geld im Kuriositätenkabinett verdienen können.
Ich nippe an meinem Wodka-Lemon, sauge an der Zigarre. Das erinnert mich an meine früheste Kindheit. Den Wodka nahm ich mit der Muttermilch auf. Damit will ich nicht sagen, dass meine Mutter eine Säuferin war, sie hatte nur eine korrelativ vernichtende Beziehung zu alkoholhaltigen Erfrischungsgetränken, weshalb es auch mit der Bühnenkarriere bergab ging und sie mit Ende dreißig fürs Fernsehen arbeiten musste. Bei Rosamunde Pilcher spielte sie mehrmals die intrigante Gräfin, bei Inga Lindström die Mutter der Braut. Sie findet das zwar grässlich, aber solche Rollen meistert sie auch im angeheiterten Zustand; die Maria Stuart an den Kammerspielen nicht. Selbst schuld, kein Mitleid, könnte man sagen. Aber natürlich habe ich Mitleid mit meiner Mutter. Sie ist, glaube ich, der unglücklichste Mensch auf Erden. Ihre besten Freunde heißen Jack und Jim.
Mit meinem Vater hat sie seit bestimmt zwanzig Jahren kein Wort gewechselt. Ich nehme es ihm heute genauso wenig übel wie damals. Für ihn war es das Beste, uns zu verlassen. Ich selbst hatte keine Wahl. Mit zwölf kannst du nicht einfach ins Hotel ziehen oder dir eine eigene Bude nehmen. Ich kam ins Internat. Das Gymnasium war zwar kein billiges Vergnügen, aber mein Vater zahlte. Die Wochenenden verbrachte ich meist bei Freunden, wo immer was geboten war. Nur an den höchsten Feiertagen kam ich nach Hause, was wahlweise die Wohnung meiner Mutter in München war oder die Villa meines Vaters am Starnberger See, wo er mit seiner neuen Flamme eine neue Familie gegründet hatte. Seitdem habe ich zwei Schwestern, die ich vor Barnie verstecke. Nicht auszudenken, was passiert, wenn er Judith und Rebekka in die Finger bekäme. Die beiden sind echt toll. Eine möchte Design studieren, die andere was mit Medien machen.
Bei einer Hochzeit würden sie zwangsläufig in Barnies Dunstkreis geraten. Wie ich ihn kenne, würde er alles versuchen, wenigstens eine von beiden in meiner Hochzeitsnacht in sein Bett zu bekommen. Aber das wäre nicht einmal das Schlimmste. Das Schlimmste wäre, wenn meine Mutter erst auf Champagner und dann auf meinen Vater und ihre Nachfolgerin trifft. Von Augenauskratzen über Beschimpfungen bis hin zu Mord und Totschlag wäre alles möglich. Über neunzig Prozent aller Tötungsdelikte sind Beziehungstaten, habe ich gelesen. Und eines ist gewiss: Obwohl meine Mutter meinen Vater hasst, liebt sie ihn noch immer. Logisch ist das nicht, aber die Wahrheit. Die Wahrheit ist auch, dass ich Luisa eine solche Hochzeit nicht antun möchte. Deshalb wäre die eleganteste Lösung, in Las Vegas zu heiraten. Nur wir zwei und Elvis. Aber das geht nicht. Luisa will groß feiern. Mit allen Freunden und Verwandten, mit Band und Reden und mindestens vier Gängen. Allein beim Gedanken daran beginnt bei mir das große Zittern. Eine solche Hochzeit könnte dank meiner Familie ein Super-GAU werden. Obwohl Luisa erwachsen und ausgesprochen bodenständig ist, hegt sie leider diesen Kleinmädchentraum, was ihre Hochzeit betrifft. Mit meiner Mutter und meinem Vater gleichzeitig in ein und demselben Raum wird das aber ganz gewiss nicht der schönste Tag in ihrem Leben.
Luisas Eltern sind ganz nett. So gut kennen wir uns aber gar nicht. Sie haben zwar ein Haus bei München, sind aber oft geschäftlich unterwegs. Das heißt, er ist geschäftlich unterwegs, sie begleitet ihn. Wenn
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