Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen
ebenso wenig. Das ist schön, kann aber natürlich auch ganz schön anstrengend sein. Mein Bruder hat es da deutlich cleverer gemacht als ich: Er ist nach Stockholm gezogen und arbeitet dort als Streetworker. Ein genialer Schachzug. Erstens ist das weit weg, zweitens gibt der Job Karma-Pluspunkte, drittens arbeiten Streetworker in Stockholm wahrscheinlich nicht ähnlich hart wie in Bukarest, und viertens habe ich Grund zur Annahme, dass er mit seinem italienischen Aussehen und Getue bei den Schwedinnen ziemlich gut ankommt.
Jedenfalls will ich Mark heute Abend nicht dabeihaben. Er hat es ja gar nicht böse gemeint, aber wenn er eine Bemerkung dieser Art bei meiner Familie macht, dann können wir das mit der Hochzeit komplett vergessen.
Vor meinem Elternhaus, einer gelb getünchten Villa im Toskana-Stil, stehen für meinen Geschmack ein paar Autos zu viel herum. Wen haben sie denn alles eingeladen? Alle italienischen Restaurantbesitzer der Stadt plus den Papst und Gianna Nannini? Ich klingele an der Tür und werde stürmisch begrüßt von meiner Mutter. »Lieblingstochter!«, ruft sie und küsst mich ab, um anschließend den Lippenstift wieder von meiner Wange abzurubbeln. Dann wird ihr Tonfall verschwörerisch. »Ich freue mich so, dass ihr heiratet. Herzlichen Glückwunsch! Aber sprich heute Abend besser nicht davon, du weißt doch, Papa ist … etwas empfindlich, was das angeht.«
Etwas empfindlich, meine Güte. Das ist noch weit untertrieben.
Um den Esstisch im Salon, der etwa so schlicht dekoriert ist wie die Sixtinische Kapelle in Rom, sitzen bereits zwölf Leute. Ich bin zu spät dran, die Vorspeise habe ich verpasst. Seit meine Eltern über fünfzig sind, essen sie sogar für deutsche Verhältnisse früh.
Mein Vater, der vor Publikum gerne den Don spielt, drückt mich an sich und platziert mich neben einem feisten Mann von etwa fünfunddreißig Jahren. Seine schwarzen Haare sind unter beträchtlichem Gel-Einsatz nach hinten gestrichen, sein lila Hemd mit protzigen Manschettenknöpfen spannt über dem Bauch. Ich könnte stundenlang seine Aknenarben zählen. Entzückend. »Das ist Antonio!«, flötet mein Vater. »Er ist der Sohn von Silvio.« Dabei weist er auf seinen langjährigen Geschäftspartner, der neben ihm sitzt und ähnlich fleischig daherkommt wie der Filius. »Ihr habt euch sicher viel zu erzählen!«
Klar. Wenn der so gerne isst, wie er aussieht, kommt er allerdings nicht zum Reden. Meine Mutter deckt die Schüsseln auf – es gibt drei Arten Nudeln mit fünf verschiedenen Soßen. Das haben mein Bruder und ich uns immer gewünscht als Kinder, weil wir uns nicht entscheiden konnten. Daraus entstand eine Tradition, und meine Mutter liebt Traditionen. Während ich Farfalle auf meinen Teller häufe, beobachtet mein Vater mich genau. Ist was? , bedeute ich ihm lautlos. Er runzelt die Stirn und schaut weg. Hat wohl einen mürrischen Tag.
Das Tischgespräch dreht sich um Affären der italienischen Politik, einen neuen dickbusigen Star am Opernhimmel, die besten Adressen für Meeresfrüchte in München und leider auch um Steuerrecht, weil Antonio mir davon die ganze Zeit ins Ohr quasselt. Er ist Steuerberater und fühlt sich durch die Linguine zu Bandwurmsätzen inspiriert. Die Serviette hat er sich in den Hemdkragen gestopft, aber er hätte besser auch eine über sein Gesicht gelegt: Dort hat sich eine bunte Mischung aus Soßenspritzern ausgebreitet. Seine Begeisterung für Steuersparmodelle ist nämlich so überbordend, dass sie nicht warten kann, bis der Kau- und Schluckvorgang beendet ist. Ich nehme mir vor, meinen Vater für diesen Tischherrn später ein bisschen zusammenzustauchen. Papa kennt mich schon mein ganzes Leben. Der muss doch wissen, dass ich solche Typen schrecklich finde. Das hat er bestimmt mit Absicht gemacht, um mich zu ärgern. Wahrscheinlich hat er die Schokoladenpapiere gefunden, die ich nach der letzten gemeinsamen Autofahrt im Fußraum seines vierzig Jahre alten roten Alfa Spider hinterlassen habe.
Als die Gäste sich verabschieden, lasse ich mich in einen Sessel fallen. Ich bleibe noch ein bisschen. Schließlich muss ich es irgendwie schaffen, meinen Vater von Mark als meinem Ehemann zu überzeugen. Wie gut das klingt. Mark, mein Ehemann. Hach. Mein Vater setzt sich mir gegenüber, bemerkt mein versonnenes Lächeln und strahlt.
»Hat dir Antonio gefallen, ja?«
»Hä, was?«
»Das heißt ›wie bitte‹!«, ruft meine Mutter aus der Küche.
»Himmel, seid ihr
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