Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen
anstrengend. Nein, Papa, Antonio hat mir nicht gefallen. Das ist ja wohl ein komischer Witz von dir!«
Mein Vater zieht seine buschigen Augenbrauen über der Nase zusammen. Das ist eine Unwetterwarnung. »Antonio ist ein guter Mann. Er hat ein schönes Haus in Gräfelfing, da wärst du ganz nah bei uns. Silvio findet, es ist an der Zeit, dass er heiratet. Und ihr würdet doch perfekt zusammenpassen!«
»Moment mal. Habt ihr eine Zeitmaschine in die Haustür eingebaut? Bin ich jetzt im neunzehnten Jahrhundert gelandet?«
»Hör auf mit den Witzen!«, poltert mein Vater los. In der Küche beginnt heftige Aktivität – meine Mutter übertönt ihn mit Geschirrklappern. Leider nur vorübergehend. »Silvio ist ein alter Freund, er gehört quasi zur Familie. Und du hast doch immer gesagt, du möchtest keinen deiner Cousins heiraten. Luigi hätte dich sofort genommen!«
»Papa. Luigi ist fast vierzig und wohnt immer noch zu Hause bei Tante Carla, damit er den ganzen Tag Playstation spielen kann.«
»Ist ja auch egal. Antonio ist der Richtige für dich. Ihr seid nicht verwandt, aber so gut wie. Sein Haus hat einen Pool!«
Okay, durchatmen. Ganz langsam und ruhig. Nein – doch nicht.
»Papa, zur Hölle mit Antonio!«, brülle ich. »Interessiert es dich vielleicht auch mal, was ich will? Ich will nicht in Gräfelfing leben, wo es außer einem Edeka und einer Grundschule nichts gibt! Ich will kein spießiges Haus mit Pool! Und ich will keinen Antonio, der nur über Geld redet und dabei Tomatensoße spuckt! Ich will Mark! Und ich heirate Mark!« Ich halte ihm meinen Verlobungsring unter die Nase. »Komm mir bloß nicht noch mal mit so einer Schnapsidee. Ich bin erwachsen, wir sind nicht in der italienischen Pampa und ich entscheide alleine, wen ich heirate!«
Je mehr ich mich aufrege, desto ruhiger wird mein Vater.
»So, so«, sagt er langsam. »Mark. Was weißt du eigentlich über den Kerl? Ich wette, der hat Dreck am Stecken!«
»Damit würde er ja super in diese Familie passen.«
»Das nimmst du zurück!«
»Mark ist moralischer als alle anderen Männer, mit denen ich jemals ausgegangen bin. Mehr brauche ich nicht über ihn zu wissen.«
»Ich schon.« Mein Vater beugt sich schnell nach vorne und schaut mir in die Augen. »Und ich werde dir beweisen, dass ich recht habe. Der ist nichts für dich. Das weiß ich.«
Zum zweiten Mal innerhalb von vier Tagen verlasse ich einen Raum türenknallend. Das mit der Verlobung fängt ja gut an.
Vom Auto aus rufe ich Marie an. Ich hätte besser gleich zum Mädelsabend gehen und meiner Familie absagen sollen.
»Wo seid ihr denn? Kann ich noch dazukommen?«
»Natürlich! Wir sind bei Verena zu Hause. Sie denkt, sie könnte jeden Moment niederkommen und will in der Nähe ihres Köfferchens bleiben«, kichert Marie.
»Äh, niederkommen? Sie ist im sechsten Monat, dachte ich.«
»Man kann nie wissen!«, ruft Verena aus dem Hintergrund.
»Alles klar. Ich komme, und ich habe eine Überraschung!«
»Hoffentlich kommt die Überraschung in einer Flasche und blubbert.«
»Gute Idee.«
Mit einer Flasche feinstem Tankstellen-Prosecco stehe ich zwanzig Minuten später in Verenas Wohnküche. Es dauert nur fünfzehn Sekunden, bis sie den Ring bemerken. Kollektiver Jubelschrei. Meine Freundinnen stürzen sich auf mich und fallen mir um den Hals.
»Ich hab’s doch gewusst! Auf Sylt!«, kreischt Verena.
»Genau, auf Sylt. Ihr seid so ein Klischeepaar«, sagt Anna und schüttelt grinsend den Kopf.
Marie nimmt lachend meine Hand und begutachtet den Ring, der offenbar ihre Zustimmung findet. »Sehr schön, dann haben wir ja jetzt eine gute Ausrede für die zweite Flasche. Ich dachte schon, wir müssten so tun, als würde Verena mittrinken, um den Schnitt sozial akzeptabel zu halten. Ich mach den Prosecco auf, und du berichtest.«
Während ich die Möwenstory erzähle, merke ich, wie gut mir die Freude meiner Freundinnen tut. Nach der hässlichen Szene mit meinem Vater kann ich ein bisschen positive Resonanz auf die Hochzeit gut gebrauchen. Familie ist schön, aber sie passt nicht immer zu einem. Enge Freunde dagegen sucht man sich passend aus. Deshalb kann man bei ihnen so entspannt sein. Da kommen keine Verkupplungsaktionen mit Geschäftspartnern in letzter Minute. Ich verstehe immer noch nicht ganz, was mein Vater mit der Aktion bezwecken wollte. Er ist mehr Deutscher als die meisten Deutschen, nur manchmal beschleicht ihn das Heimweh nach Italien, die Nostalgie oder was auch
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